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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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worauf sie sich einließen.
    Ernie wusste, dass sie eine bessere Chance hatten, wenn sie irgendein Spezialgebiet vorweisen konnten, ob echt oder erfunden. Makki und er reihten sich in die lange Schlange der Häftlinge ein, die aus Mittelbau-Dora herauswollten, und standen schließlich vor einem SS -Mann, der darüber entschied, wer ging und wer blieb.
    Ernie trat vor. Als der SS -Mann ihn nach seinem Beruf fragte, behauptete er, Schlosser zu sein, obwohl sein Wissen über Schlosserei auf seinen Daumennagel gepasst hätte. Er wurde durchgewinkt. Makki, der direkt hinter ihm kam, konnte sich jetzt schwerlich ebenfalls als Schlosser bezeichnen, also antwortete er auf die Frage des SS -Mannes: »Elektriker.«
    »Dich brauchen wir hier«, sagte der Aufseher, und Makki musste zurück.
    »Es brach mir das Herz«, sagte Ernie, biss sich auf die Lippe und litt sichtlich unter dem Gewicht seiner Worte. Dann brach sein Widerstand. Er weinte laut und bedeckte die Augen mit der Hand. »Ich wollte, dass Makki mitkommt«, sagte er mit bebender Stimme. »Ich habe ihn nie wiedergesehen. Er ist gestorben, und das nur, weil er ›Elektriker‹ gesagt hat.«
    Ernie schluchzte. Es war mir peinlich, seine Trauer zu sehen. Mir schien, als hätten wir anderen kein Recht, dabei zu sein. Fünfzig Jahre nach den Ereignissen erzählte er diese Geschichte, und noch immer trauerte er um seinen Freund.
    In Mittelbau-Dora kamen ungefähr zwanzigtausend KZ -Häftlinge ums Leben, und Makki war vermutlich einer von ihnen. Und wie er es für seine Großmutter getan hatte, bezeugte Ernie nun für die Nachwelt, dass Makki existiert hatte, dass sein Leben einen Wert besessen hatte, so wie das aller anderen. Sie hatten einander geholfen, Auschwitz und den Todesmarsch zu überstehen, und Ernie hatte Makki mit den Zigaretten unterstützt, die ich ihm zugespielt hatte, aber es hatte nicht gereicht.
    Millionen waren umgekommen, und keiner von ihnen hatte viel zur eigenen Rettung tun können. Es lag nicht an schwindenden Reserven oder gar an einem Mangel an Mut und Initiative, es war einfach nur Glückssache. Ich wusste durch meine eigenen Erlebnisse in Krieg und Gefangenschaft, dass jeder, der durchkam, sein Leben vor allem dem Zufall verdankte. Ernie hatte die Gelegenheiten genutzt, die sich ihm geboten hatten, aber das Glück hatte den größten Beitrag zu seinem Überleben geleistet.
    Ich merkte Ernie an, dass sein Kampfgeist ihn ein wenig verlassen hatte, als beflecke der Verlust des Freundes seine fantastische Überlebensgeschichte. Er redete langsamer, als hakte er nur noch die Einzelheiten ab, um endlich zum Ende zu kommen.
    Mit dem Transport verließ Ernie Mittelbau-Dora, doch die ausgemergelten Freiwilligen wurden nur bis Nordhausen am anderen Ende des Tunnelkomplexes gebracht, und dort erging es Ernie kaum besser. Sie schliefen auf Pritschen, die man in eine Reihe von Militärwerkstätten gezwängt hatte. Ernie vermutete, dass in dem Lager, das ebenfalls von einem Starkstromzaun umschlossen war, ungefähr sechstausend Häftlinge festgehalten wurden. Das Essen war genauso scheußlich wie in allen anderen KZ s.
    Es war März. Die Tage verschmolzen ineinander, und Ernie verlor das Zeitgefühl. Er wusste mittlerweile, dass der Krieg bald zu Ende sein würde, doch er verfiel zusehends. Rings um ihn starben Häftlinge, und er fürchtete, er würde seine Befreiung nicht mehr erleben. Von den sechstausend Häftlingen, die es bei seiner Ankunft im Lager gegeben hatte, waren wenige Wochen später nur noch eintausendfünfhundert am Leben.
    Jeden Tag fuhr Ernie mit einem kleinen Zug in den Stollen ein, um Steine zu bewegen. Die Arbeit war schwer und ging langsam voran. Die Zwangsarbeiter waren schwach, und die Aufseher kümmerte es wenig, ob sie vorankamen. Die fünfzehnhundert Gefangenen, die am Ende übrig waren, vermochten kaum die Arbeit von hundert gesunden Männern zu leisten, sagte Ernie. Ende März wurden die Arbeiten endgültig eingestellt. Es hatte keinen Sinn mehr.
    Die Tage vergingen damit, dass sie auf die Amerikaner warteten, aber diese kamen nicht. Die alliierten Bomber flogen jedes Mal hoch über das Lager hinweg und hatten andere Ziele. Eines Tages Anfang April hörte Ernie Luftalarm, doch es hatte kaum Bedeutung für ihn, denn die KZ -Häftlinge konnten nirgendwo Schutz suchen. Er hörte Bomben im Lager einschlagen, und mehrere Baracken gingen in Flammen auf. Er hörte Schreie und sah Häftlinge brennend umherlaufen. Ernie begriff, dass die
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