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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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hatte, die in Breslau lebte und von ihrer Familie geliebt worden war. So wie ich, war auch Ernie ein Zeuge jener Zeit. Später fand er heraus, dass die SS seine Großmutter im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet hatte.
    Ich brauche Ernies Fahrt in den Viehwaggons und seine Ankunft in Auschwitz nicht zu schildern; ebenso wenig die Selektion, als diejenigen, die sofort in die Gaskammern gingen, von denen getrennt wurden, die sich langsam zu Tode schuften sollten. Ernie beschreibt seine Ankunft in Auschwitz-Monowitz als einen Augenblick völliger Vernichtung. Die Neuankömmlinge, die mit Frauen und Kindern verschleppt worden waren, mussten erkennen, dass ihre Angehörigen wahrscheinlich schon ermordet und verbrannt worden waren. Ernie war allein; deshalb blieb ihm der Schmerz erspart, Menschen leiden zu sehen, die ihm lieb waren.
    Ich brauche nicht zu sagen, dass Ernie oft Glück gehabt hatte und Auschwitz nur deshalb überleben konnte. Man musste eine Nische finden, sagte er, eine Möglichkeit, die Hungerrationen zu ergänzen, sonst starb man. Ernie begann mit der Arbeit, indem er das Fundament eines Gebäudes grub; er konnte mit einem Spaten umgehen, während die meisten anderen ein solches Arbeitsgerät kaum je zu Gesicht bekommen hatten, aber es ging ihm genauso schlecht wie ihnen. Dann hatte er Glück. Einer der Aufseher befahl ihm, die Bauhütte auszufegen, in der sie sich unterstellten. Ein Ofen stand darin, und Ernie bekam die Anweisung, das Feuer in Gang zu halten. Als Nächstes befahlen ihm die SS -Posten, Schmiere zu stehen und sie zu alarmieren, wenn ihr Unteroffizier kam, damit sie in der Hütte bleiben konnten und nicht in der Kälte stehen mussten. Das bedeutete, dass Ernie sich jedes Mal, wenn er hineinging, um das Feuer zu schüren, ein bisschen aufwärmen konnte. Das brachte ihn durch die schlimmsten Wochen dieses Winters.
    Ich hatte immer gewusst, dass Ernie ein kluger Bursche war, und dazu hatte er noch Glück. Er berichtete, wie es ihm gelungen war, hundert Mark in die Hände zu bekommen, die er in seinem Gürtel versteckt hielt, als er ins Lager kam. Es muss wie ein Glücksspiel für ihn gewesen sein, als er sich entscheiden musste, was er mit dem Geld anfangen sollte. Schließlich beschloss er, die hundert Mark beim Blockältesten gegen einen halben Laib Brot einzutauschen. Es war eine teure Mahlzeit, aber sie gab ihm zusätzliche Kraft, der er zu verdanken hatte, dass er zum Lagerboten gemacht wurde und für die SS -Wachmannschaften Besorgungen erledigte. Dadurch wiederum bekam er ein bisschen mehr Suppe als die anderen und damit zusätzliche Energie. Bei den anderen Männern konnte er beobachten, wie die Auszehrung ihren Tod beschleunigte.
    Die Häftlinge, die im Freien arbeiten mussten, verfielen sehr schnell. Hunderte starben vor Ernies Augen. Er wusste, dass es unmöglich war, vollkommen unmöglich, das Lager zu überleben, wenn man nicht einen kleinen Vorteil fand, irgendein kleines Plus, das einem half, am Leben zu bleiben. Insbesondere der Arbeitsplatz eines Häftlings war mitentscheidend über Leben und Tod. Wieder hatte Ernie Glück, denn er konnte drinnen bei den deutschen Zivilisten arbeiten. Es verschaffte ihm eine bessere Chance auf ein Überleben.
    Dann berichtete Ernie noch einmal, wie er mich kennengelernt hatte, und erzählte die Geschichte von den Zigaretten. Für mich war es wundervoll, an diese besonderen Augenblicke erinnert zu werden, aber ich wollte jetzt wissen, wie es weiterging.
    Freundschaften zwischen den Häftlingen waren nicht unbedingt von Vorteil. »Überleben musste man alleine«, sagte Ernie. Wie wahr, dachte ich. Auch aus diesem Grund bin ich in den Jahren meiner Gefangenschaft ein Einzelgänger gewesen.
    Ernie hatte einen Freund namens Makki oder Mecky – es ließ sich nur schwer verstehen. Ernie hatte ihn im Zuge des Hachscharah-Programms kennengelernt, an dem sie Jahre zuvor teilgenommen hatten und bei dem ihnen beigebracht worden war, wie man einen Acker pflügt und die Saat ausbringt. Ernie hatte Makki – so will ich den Namen von nun an schreiben – ein paar von den Zigaretten geschenkt, die ich ihm zugespielt hatte; deshalb fühlte auch ich mich diesem Mann verbunden.
    Was mich wirklich interessierte, war Ernies Weg nach Auschwitz, doch als er auf den Todesmarsch zu sprechen kam, schlug seine Stimmung um. Alles, was er sich aufgebaut hatte, um eine Überlebenschance zu erhalten, wurde weggefegt. Immerhin war er nicht so unterernährt wie die
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