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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte
Autoren: Heinrich Steinfest
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getrennt«, sagte Geislhöringer.
    »Waren Sie dabei?«, fragte ich.
    »Natürlich nicht. Aber Köpple hat mich wie immer unterrichtet. Er war besessen von der Vorstellung einer abenteuerlichen Biografie. Und da hat diese Affäre sehr schön hineingepasst.«
    »Sie waren aber nicht der Einzige, mit dem Köpple über die Sache gesprochen hat.«
    »Das stimmt bedingt. Er hat einige Herren aus dem Konzern davon in Kenntnis gesetzt, dass Frau Holdenried aus dem Verkehr gezogen werden soll. Es ist eine Taktik Köpples, in heiklen Fragen mehrere Leute einzubeziehen. Nicht, dass er sie fragt, aber er bezieht sie ein, und zwar in die Schuld. Das war der Abend, als Bötsch an der Tür stand und horchte. Kein guter Abend.«
    »Sie beide sind wirklich ein reizendes Pärchen«, sagte ich. »Sie wussten, was passieren würde, haben sich der kleinen Hochstaplerin Ruth Dreher bedient und sie stellvertretend in die Falle geschickt. Eiskalt.«
    Die Dame Holdenried schnitt eine verächtliche Grimasse und sagte: »Ich kann nicht glauben, dass Sie so ein Sensibelchen sind, guter Herr Jooß. Um eine Ratte wie diese Dreher ist es nicht schade. Sie hätte eine gute Tote abgegeben. Das wäre die beste Rolle ihres Lebens gewesen. Aber nein. Stattdessen ist alles sehr, sehr ungemütlich geworden. Und das nur, weil Sie ein kleinkarierter Krittler sind, Jooß, der sich um lächerliche Details kümmert. Der wegen einer lachhaften Unstimmigkeit der Ohrläppchen seinen Job nicht erfüllt. Und jetzt auch noch den Sheriff spielt.«
    Ich ignorierte diesen Angriff und bewegte mich hinüber zur Bar, deren Anblick mir wohltat. Die schöne Ordnung der in drei Reihen aufgestellten Flaschen, der Gläser, die wie die Bauern eines Schachspiels die groß gewachsene Herrschaft abdeckten. Ich dachte an die Kneipe, in die Szirba mich geführt hatte. War der Alkohol die letzte Bastion der Klarheit und Überschaubarkeit? Neben dem Boxen?
    Ich nahm einen Schluck, stellte das Glas zurück und fragte: »Welche Rolle spielt die Polizei?«
    »Die Polizei ist nicht unabhängig. Wie denn auch«, sagte Geislhöringer. »Diese Leute werden mit Weisungen bombardiert. Die einen sind käuflich, die anderen verwirrt. Selbstverständlich besitzt Köpple einen gewissen Einfluss.«
    »Das war wohl Ihre Idee«, kam es vom Kamin her.
    »Was für eine Idee?«, fragte Geislhöringer und blickte erstaunt zu dem Österreicher.
    »Diesen Polizisten auf mich zu hetzen. Thomas Keßler. Ich hatte mit der Sache doch gar nichts zu tun.«
    »Nicht doch«, sagte Geislhöringer. »Sie können mir nicht erzählen, dass Sie Bötsch nicht kannten.«
    »Gewissermaßen nein.«
    »Inwieweit gewissermaßen?«
    Szirba schwieg. Ich wusste, warum. Er hatte mir davon erzählt, von seiner merkwürdigen Obsession des »Zufügens« und dass er gemeint hatte, der Mann im Buchladen, eben Bötsch, sei von der gleichen Leidenschaft besessen. Er hatte den Parasitologen aus der Flugbahn des Projektils befördert in der Meinung, damit einen Geistesverwandten zu retten.
    »Und was wird jetzt geschehen?«, fragte ich.
    Annegrete Holdenried wies mit ihrer Hand auf eine Ecke des Zimmers, in der mehrere Koffer standen, und erklärte, es sei wohl am sinnvollsten, das Land zu verlassen. »Und das würde ich auch Ihnen und Ihrem Freund empfehlen. Wir alle, wie wir hier stehen, sind so ungefähr das, was man ein Sicherheitsrisiko nennt. Für Köpple. Und auch für Hübner.«
    In diesem Moment flammte das Deckenlicht auf. Die Tür zum Vorraum öffnete sich, und zwei Männer kamen herein, Zwillinge, hätte man meinen können, die nie aufgehört hatten, die gleiche Kleidung zu tragen. Im gegebenen Fall waren es silbergraue Anzüge. Auch besaßen sie den gleichen grimmigen Blick und einen Körper, der viel Kraft und geringe Beweglichkeit suggerierte. Und beide hielten sie eine Pistole in der Hand. Sie wirkten professionell und wie alles Professionelle ein wenig komisch. Zwischen ihnen trat nun ein Mann ein, klein, korpulent, sechzigjährig, mit derart vollem Haar, dass der Verdacht einer Manipulation aufkam. Aber dieser Mann war ja bekannt für sein natürlich-kräftiges Haar und nicht bloß dafür: Max Köpple. Sein Gesicht war voller Güte. Er lächelte, als wäre er gekommen, um ein Kinderheim zu eröffnen. Und tatsächlich schien er von der Tugend des Verzeihens erfüllt, denn er ging auf Annegrete zu, sagte: »Darling«, nahm ihre Hand und küsste sie. »Ich weiß, ich bin selbst an allem schuld.«
    Köpple machte eine
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