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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte
Autoren: Heinrich Steinfest
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witterte bald eine Spur, die in das besetzte Haus führte, wo jedoch bloß noch die Besetzer verkehrten, während von den »Chemischen Gleichgewichtlern« lediglich Ausrüstung und einiges an Chemikalien vorgefunden wurden. Verständlich, dass die Polizei einer gewissen Frustration erlag und sich an den Besetzern schadlos hielt, indem sie eine beträchtliche Prügelei veranstaltete. Was wiederum selbst die Besetzer irgendwie verstanden.
    »Eine peinliche Sache für Köpple, wäre sie aufgedeckt worden«, erklärte der Bayer. »Das hat ja jeder gewusst, dass er und von Breu sich nicht gerade mochten. Beide saßen in einigen der wichtigsten Vorstände, in denen man überhaupt sitzen kann, und haben sich unentwegt angegiftet. Nicht wenige Leute haben gemeint, es wäre am besten, einer von den beiden würde das Zeitliche segnen. Und siehe da, nun war tatsächlich einer tot.«
    Das führte übrigens wirklich dazu, dass in diesem Vorstand eine produktive Ruhe einkehrte, die sich ausweitete. Ja, es war beinahe so, als atme die gesamte deutsche Wirtschaft auf. Es herrschte die beste Stimmung. Was sich natürlich geändert hätte, wäre ruchbar geworden, dass Köpple der eigentliche Besitzer des Hauses war, in dem die Bombenleger ihre Aktion in aller Ruhe hatten vorbereiten können. Das wäre dann auch eine Bombe gewesen. Man kann sich vorstellen, wie die Presse diese Sache gedeutet hätte. So lächerlich der Verdacht gewesen wäre, Köpple hätte ihn nur schwer abschütteln können.
    »Die Zeitungsfritzen«, sagte Geislhöringer, »hätten sich wie wild darauf gestürzt. Ein Spekulationsfieber wäre ausgebrochen. Am Ende hätte es geheißen: Max Köpple missbraucht Terrorgruppe für eigene Zwecke.«
    Stimmt schon, dachte ich, das Gericht der Öffentlichkeit urteilt schnell, bestraft hart und ist ehrlich genug, sich nicht mit juristischen Spitzfindigkeiten abzugeben. Das Gericht der Öffentlichkeit hat die Lüge des Rechtsstaates längst überwunden und die Rechtsprechung wieder ihrem eigentlichen Zweck zugeführt: der Unterhaltung. Und zwar in Form einer Opferung. Das Opfer war noch nie ernsthaft ein Geschenk an die Götter, es war nie wirklich ein Ritual des Gebens, sondern zumeist eines des Sehens. Darum die Grausamkeit vieler Darbringungen, die immer nur der eigenen Erbauung dienen. Wer glaubt schon, eine Gottheit damit besänftigen zu können, einem Huhn den Kopf abzuschlagen oder Kriegsgefangene zu liquidieren. Nein, eine Opferung ist aufregend und amüsant und reinigt solcherart die Seele des Betrachters. Zumindest ein wenig. Köpple – einmal von den alten Freunden fallen gelassen – wäre ein ideales Opfer gewesen. Hin und wieder müssen auch Bosse zur Schlachtbank geführt werden.
    »Aber es wusste ja niemand davon«, sagte Geislhöringer.
    »Der gute Mensch Klaffke aber schon«, wandte ich ein.
    »Der hätte nie einen Verrat begangen. Und ihn selbst ließ man in Ruhe. Ein simpler Makler, der eben versäumt hat, die Räumung seines Hauses zu betreiben. Nicht mehr.«
    »Wissen Sie, wo er jetzt ist?«
    »Ich habe über ihn recherchiert, wie über alle Personen im Dunstkreis Köpples. Klaffke ist letztes Jahr gestorben. Genau so, wie er gelebt hat. Er wollte einen Selbstmörder retten.«
    »Gefährliche Sache.«
    »Das kann man wohl sagen. Er hat versucht, in das Hotelzimmer einzudringen, in dem ein Mann im Fensterrahmen stand, um sich in die Tiefe zu stürzen. Fragen Sie mich nicht, was Klaffke dort verloren hatte. Auf jeden Fall ist er gegen die verschlossene Tür gerannt. Unglücklich gerannt, muss man sagen. Sein Schädel hat das nicht ausgehalten. Dafür hat der Selbstmörder überlebt. Und darauf ist es dem Klaffke sicherlich angekommen.«
    Ich stellte mir vor, wie der Lebensmüde – als handle es sich um einen metaphysischen Rückstoß – zurück ins Zimmer gekippt war, jedoch ohne sich seinerseits den Schädel anzuschlagen. Rückstoß auch insofern, da er nicht wieder ans Fenster trat, vielmehr die Tür öffnete, den Tod des am Boden Liegenden feststellte und sich sehr schnell des Unglücks dieses Mannes bewusst wurde, der beim Versuch gestorben war, einen Selbstmordkandidaten zu retten. Sich jetzt noch umzubringen, das verbat sich von selbst.
    Das nur nebenbei.
    »Und wir sollen also glauben«, beschwerte sich Szirba, »Köpple hätte Ihnen diese Hausbesetzergeschichte erzählt.«
    »Ich bin sein Biograf. Herr Köpple ist richtiggehend stolz auf diese Geschichte. Nur, dass er sie eben nicht zu Lebzeiten
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