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Der Mann auf dem Einhorn

Der Mann auf dem Einhorn

Titel: Der Mann auf dem Einhorn
Autoren: Hans Kneifel
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Pandor, Hark und Horus schnell, ausdauernd und stark. Ihre Instinkte waren ebenso scharf wie ihre Sinne. Sie gehorchten Mythor aufs Wort, blieben aber selbständig und eigenwillig. Überdies wusste er, dass er ihre Lebensäußerungen noch lange nicht völlig verstand.
    Aber selbst wenn Horus und Hark jagten, um ihre Beute zu schlagen, kamen sie immer wieder zu ihm zurück.
    »Zaubertiere?« fragte er sich und gab sich die Antwort: »Nein, das sind sie nicht. Nur der Umstand, dass sie in ihren Kokons schlafend gewartet haben, ist wunderbar.«
    Ein Schenkeldruck, und schon wurde das Einhorn langsamer.
    Die Wildländer, die zwischen den Höhlen und der Felswand hin und her liefen, nahmen Mythors Gegenwart auf merkwürdige Art hin. Sie wichen ihm aus, wenn sie an ihm vorbeigingen. Keiner sprach ihn an. Aber sie teilten ihr Essen und den Wein mit ihm, und als er von ihnen verlangte, einen großen Kessel Wasser zu sieden, gehorchten sie sofort.
    Ihr neuer Herr aber war eindeutig Hester.
    Sie taten, was er mit seiner brüchigen Sprache verlangte, nicht nur schnell, sondern mit offensichtlicher Begeisterung. Schon wieder war von zahlreichen Stellen der Felswand das Klirren und Krachen von Meißeln, Hämmern und Keilen zu hören. Staub und kleine Gesteinssplitter färbten den Schnee.
    Mythor ritt in die Höhle hinein und versorgte das Einhorn. Er wusste, dass die Tage der Ruhe bald vorbei sein würden.
    Seine Freunde warteten nahe dem verwunschenen Tal.
    *
    »Du willst gehen?«
    Es war schwer gewesen, Hester von seiner Arbeit weg zu holen. Er war wie besessen und kannte nichts anderes mehr.
    »Ich blieb hier«, sagte Mythor, der den Arm um Pandors Hals gelegt hatte, »um dich zu schützen. Ich dachte an einen Angriff der Caer. Sie fanden das verwunschene Tal leer. Der Berg der Gesichter ist nicht weit davon entfernt.«
    In rastloser, aber planmäßiger Arbeit hatte Hester das oberste Gesicht, das zugleich eines der größten war, bearbeitet. Mythor hatte es am Ende seiner Flucht felsaufwärts nur geringfügig beschädigen können. Inzwischen hatte sich das Aussehen des Kopfes stark geändert.
    »Keiner hat. Urzuguhr gestört. Kein Angriff. Ich werde nicht gestört. Siehst du.?«
    Seine Hand deutete auf den weit vorspringenden Kopf. Das Gerüst um Stirn und Augen war entfernt, der Fels entlang diesen Kanten war frei von Eis und Schnee und glattgeschlagen.
    Haar, Stirn und Augen hatten ihr Aussehen und ihren Ausdruck gänzlich verändert. Nur wenig Stein war neu gemeißelt worden. Linien waren verschwunden, andere zeichneten sich an deren Stelle ab. Das Gestein, von wenigen vielverzweigten Adern durchzogen, aber glänzte im hellen Licht des Tages, obwohl sich die Sonne hinter den Schneewolken versteckte.
    »Ich sehe«, bekannte Mythor ehrlich, »dass der Kopf schön und leicht wirkt.«
    »Wie meine Bilder.«
    »Tatsächlich!« pflichtete Mythor bei. »Er gleicht den Köpfen des Donnersteins.«
    »Gleicht ihnen. aber anders«, stotterte Hester. »Sie werden. noch schöner.«
    Mythor musste zustimmen. Obwohl der Kopf noch nicht fertig war, ließ sich deutlich erkennen, dass er genau das Gegenteil des zerstörten Kopfes ausdrücken würde, nämlich Schönheit und Leichtigkeit. So stellte sich Mythor einen Stützpunkt des Lichtboten vor, und so würde im Lauf der Jahre Hester auch die anderen Köpfe und Gesichter mit Hilfe der Wildländer gestalten.
    »Ich werde morgen im ersten Licht reiten!« sagte Mythor.
    »Wohin?« Hester wirkte zerstreut. Er hatte nur noch seine Arbeit im Sinn; den drei Tieren schenkte er keinen Blick mehr. Seine Hände waren rau und schwielig geworden, seine kostbare Seidenkleidung war schmutzig und zerrissen.
    »In der Nähe des verwunschenen Tales warten meine Freunde«, sagte Mythor.
    »Reite! Das Einhorn ist stark und. schnell«, meinte Hester, nickte ihm mit starrem Lächeln zu und lief auf die Leitern zu.
    Kurze Zeit später hörte Mythor aus dem zerklüfteten Gewirr der Gesichterfragmente das Klirren der Werkzeuge. Er hob die Schultern und ging zurück in die Höhle, um sich für den Ritt auszurüsten.
    Noch immer leuchtete das Gläserne Schwert hell und durchdringend.
    *
    Ein fast unhörbarer Befehl hielt Pandor an. Das Einhorn drehte sich herum, und Mythor hob grüßend und Abschied nehmend den Arm.
    Hester, weit oben auf dem Gerüst, beachtete ihn auch jetzt nicht mehr. Der Kopf war zu zwei Dritteln fertig.
    Er strahlte heitere Ruhe, lächelnde Sicherheit und fröhliche Schönheit aus. Über dem
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