Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann auf dem Einhorn

Der Mann auf dem Einhorn

Titel: Der Mann auf dem Einhorn
Autoren: Hans Kneifel
Vom Netzwerk:
ausgeholten Hieben ein hohles Pfeifen.
    Mythor zog sich Schritt für Schritt vom Abhang zurück.
    Mehrere Männer lagen bewegungslos auf dem Felsen. Wieder schrie einer auf und brach zusammen. Klirrend fielen Speere und Äxte auf den Stein. Ein Speer bohrte sich in einen Spalt und brach ab. Mythor wich einem Steinhagel aus und sprang direkt vor einen Wildländer. Ihn trafen die Steine, Mythor hatte ihn als Schild benutzt.
    Durch das Keuchen und Klirren und Prasseln ertönten zwei auffallend laute Geräusche.
    Ein Wolf heulte fast schmerzend laut. Ein Raubvogel stieß einen gellenden Jagdschrei aus. Mythor hob den Kopf.
    Ihm klangen die Laute sehr vertraut, aber er war sicher, dass er sich täuschte.
    Erstes Zwielicht lag auf dem Schnee. Der Mond schob sich hinter eine schwarze, schneeschwere Wolke. Wieder traf die flache Klinge einen Wildländer seitlich am Kopf und schmetterte ihn zu Boden. Aber ebenso schnell hatte sich auch die Anzahl der Gegner vergrößert.
    Plötzlich blieben die Wildländer wie erstarrt stehen.
    Wieder schrien sie vor Schreck auf. Einige ließen die Waffen fallen. Andere wandten sich, seltsam taumelnd, zur Flucht.
    Ein tiefes, dunkles Grollen durchzog den Felsen. Zuerst erklang das Geräusch, dann begann der Tafelberg zu beben. Kein starkes Beben, sondern ein winziges Zittern. Es genügte, die Männer taumeln zu lassen und sie mit Furcht zu erfüllen.
    Die zertrümmerten Köpfe und Gesichter stöhnten und wimmerten auf.
    Magisches Leben erfüllte den großen, runden Berg. Die Eisplatten auf dem Plateau sprangen mit hellem Klirren in tausend Stücke. Aus dem geschwungenen Hang lösten sich an zahllosen Stellen große und kleine Steinsplitter. Sie trafen die kletternden Wildländer und schüttelten sie förmlich ab.
    Auch Mythor schwankte und taumelte. Über ihm flatterte plötzlich ein kleiner weißer Schatten. Der Schneefalke!
    Er zog seine Kreise, tauchte bis auf den Boden hinunter ; und umflog die flüchtenden Wildländer. Immer wieder stieß er seinen Jagdruf aus. Der Boden bebte, die Bildwerke ächzten und riefen bei jedem, der sie hörte, den Eindruck hervor, als versuchten sie, sich aus dem gewachsenen Fels loszureißen und ihre Umgebung anzugreifen. Sie stöhnten ihre Gefühle heraus, obwohl es undenkbar war, dass Stein ein menschliches Gefühl haben konnte. Für Mythor war es klar, dass Schwarze Magie sich hier austobte - hoffentlich zum letzten Mal.
    Grollend erstarb das Zittern des Felsens. Noch ein letztes, verzweifeltes Knirschen, dann war es ruhig. Aus der zerklüfteten Wand kam ein langgezogener Seufzer. Nur das Wolfsgeheul und das gellende Kreischen des weißen Falken blieben übrig. Wildländer warfen sich zu Boden und blieben erschrocken und reglos liegen.
    Mythor ließ das erhobene Schwert sinken.
    Dumpfes Hufgetrappel erscholl aus der Richtung des Höhleneingangs. Jetzt wusste Mythor genau, dass Hester mit den drei Tieren hierhergekommen war.
    Mythor behielt, als er auf den Felsabsturz zuschritt, das Schwert schlagbereit in der Hand. Vor ihm, am Ende einer mehrfachen Reihe regungsloser Wildländer, ragte ein Stück einer Leiter über die Kante. »Was nun?« fragte er sich.
    Er sah, wie der Schneefalke sich schräg abwärts stürzte und den Reiter mit seinem Wolf umkreiste. Hester hielt das Einhorn vor dem Höhleneingang an. Das Horn des Tieres schimmerte ähnlich wie das Gläserne Schwert. Der Wolf stand vor den Vorderbeinen des Einhorns und knurrte und heulte.
    Eine Schar Wildländer stand in kleinen Gruppen vor dem Eingang. Sie waren vor Verwunderung oder vor Schreck erstarrt. Mythor schob Alton in den Gürtel und stieg langsam die Leiter hinunter, kletterte über die Reste der Gesichter und der Gerüste und sprang zwischen den Schnee und die Trümmer. Dann lief er auf Hester zu, doch als der Halbblinde den Kopf wandte, zwang er sich dazu, langsam zu gehen.
    Die Helligkeit erreichte den Fuß des Tafelbergs.
    »Ohne dass du es wusstest«, sagte er laut, »hast du mir das Leben gerettet, Königssohn.«
    Hester blickte ihn schweigend aus einem Auge an. Dann hob er den Kopf und musterte voller Staunen die halb zerstörten Gesichter und die Trümmer der Gerüste, daraufhin auch die Wildländer, die zum Teil aus der Wand kletterten, zum anderen aus dem Schnee und zwischen den Trümmern aufstanden.
    Der Falke landete auf den Schultern Hesters und schlug seine Krallen in den Mantel.
    Mythor blieb einige Schritte vor Hester stehen. Die Wildländer starrten die Gruppe schweigend
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher