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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
Autoren: John Vermeulen
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entgegnete dieser lakonisch.
    »Wann gedenkt er zu kommen?« Leonardo schaute noch einmal in den Brief. »In zwei Wochen schon. Gut, dann weiß ich, wann ich krank zu sein habe.«
    Leonardo hatte genügend Erfahrung mit dem Theater, um zu wissen, wie man Komödie spielte. Als Kardinal Luigi von Aragon tatsächlich zwei Wochen später mit seinem Gefolge in Amboise eintraf und Leonardo aufsuchte, wurde er von einem wahren Tattergreis empfangen. Leonardo sabberte und tat, als könnte er kaum mehr sprechen, worauf Melzi einsprang und erklärte, dass der Meister zu seinem größten Bedauern das Bett aufsuchen müsse.
    So blieb es bei einer kurzen Führung durch Leonardos Atelier im Obergeschoss, wo der Kardinal die aus Rom mitgebrachten Tafeln La Gioconda und Anna Selbdritt sowie den neuen Johannes der Täufer bewundern durfte.
    Melzi stand noch mit Mathurina vor dem Fenster des großen Salons im Erdgeschoss, um der sich entfernenden Gesellschaft nachzuschauen, als Leonardo hereinpolterte und rief: »Reißt sofort alle Fenster auf, um diese schlechte Luft zu vertreiben! Ich möchte nicht riskieren, von den giftigen Ausdünstungen dieser scheinheiligen Bande womöglich tatsächlich krank zu werden.« Er gab Mathurina einen munteren Klaps auf den Hintern. »Hast du noch etwas von deinem köstlichen Honigkuchen? Der würde mir jetzt schmecken. Und ein Becher warmer Wein zur Stärkung.«
    Von der kopfschüttelnden Haushälterin gefolgt, humpelte er Richtung Küche.
    Es wurde Dezember, ehe der König endlich wieder in Amboise eintraf. Gleich am Tag darauf wurde Leonardo zum Abendessen bei Franz I. und dessen Gemahlin Claude ins Schloss geladen.
    Der König wirkte noch müde von der langen Reise, doch er begrüßte Leonardo mit einer so innigen Umarmung, dass es diesem fast die Luft benahm.
    »Sie haben mir gefehlt, Meister da Vinci«, sagte er aus tiefstem Herzen. Er lud Leonardo ein, an dem schlicht gedeckten Tisch am Kamin Platz zu nehmen. »Unsere phänomenale Köchin hat nicht vergessen, dass Sie kein Fleisch essen. Sie hat eigens für Sie Aal besorgen lassen.«
    »Eine gute Köchin ist nicht mit Gold aufzuwiegen«, bemerkte die Königin. Im Gegensatz zu ihrem Gemahl war sie klein und mollig, und man sah ihr an, dass sie gerne gut aß.
    »Ich schätze mich glücklich mit meiner Mathurina«, erwiderte Leonardo. »Wenngleich sie nur in der italienischen Küche bewandert ist.«
    »Und dazu noch ohne Fleisch…«, bemerkte Claude mit einem leichten Vorwurf in der Stimme. »Aber nehmen Sie doch Platz, Meister da Vinci.« Sie winkte einem Diener. »Wein?«
    Leonardo wartete, bis sich König und Königin gesetzt hatten, bevor er selbst Platz nahm. Er blickte auf den Weißwein, der in seinen Römer geschenkt wurde. »Vielleicht ist der Moment nicht so günstig gewählt, dieses Thema anzusprechen, aber ich trage mich mit dem Gedanken, mein Testament aufzusetzen, und benötige Zeugen…«
    Franz I. sah ihn besorgt an. »Sie sind doch hoffentlich nicht krank? Der Bericht des Kardinals über seinen Besuch bei Ihnen hatte mich schon etwas beunruhigt.«
    Leonardo konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Nehmt es mir nicht übel, aber da habe ich ein bisschen Komödie gespielt. Er war mir ein allzu unliebsamer Gast.«
    Der König griff zu seinem Römer. »Eine Finte, deren ich mich auch manchmal nur zu gern bedienen würde. Aber leider gestaltet sich das in meiner Position etwas schwieriger.« Er kostete von dem Wein. »Perfekt, um den Aal darin schwimmen zu lassen«, konstatierte er. »Aber um auf Ihr Befinden zurückzukommen: Wäre es Ihnen denn möglich, mich in nächster Zeit einmal nach Romorantin zu begleiten?« Als Leonardo sichtlich erschrocken aufschaute, fuhr er fort: »Keine Angst, es ist nicht weit von hier. Ich möchte dort einen neuen Palast bauen lassen, mit einem Kanal, der die Loire mit der Saône verbindet. Es wäre schön, wenn Sie mir Entwürfe für all das zeichnen könnten.« Er lächelte, als er Leonardos zweifelnden Gesichtsausdruck sah. »Es hat keine Eile, Sie können in aller Ruhe daran arbeiten.«
    Vielleicht ist es genau das, was ich brauche, dachte Leonardo, nachdem er den ersten Schock über das unerwartete Ersuchen des Königs überwunden hatte. Wenngleich er das untrügliche Gefühl hatte, dass es ihm nicht mehr vergönnt sein würde, den neuen Palast entstehen zu sehen.

34

    Noch vor Ende des Jahres reiste Leonardo mit Franz I . nach Romorantin, wo er die ersten groben Skizzen für den neuen
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