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Der magische Reif

Der magische Reif

Titel: Der magische Reif
Autoren: Guillaume Prévost
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der Goldreif und die Münzen lagen brav an Ort und Stelle. Er stieß einen erleichterten Seufzer aus, ließ das Schmuckstück in seine Tasche gleiten, während er immer noch zitterte wie Espenlaub. Er fühlte in der Vertiefung nach dem Ring der Ewigkeit und umschloss ihn fest mit der Hand, in der Hoffnung, er würde ihm etwas Wärme und Trost spenden. Dann trat er ans Fenster, durch das noch helles Tageslicht hereinfiel. Durchaus passend zu einem 5. Juni um 17 Uhr ... Aber wenn das stimmte, was war dann mit seinem Keller geschehen?
    Da fiel sein Blick auf ein riesiges Plakat, das auf dem Tisch lag, mit der Aufschrift:
    Am 3. Juni Eröffnung der Antiquarischen Buchhandlung Faulkner!
    Am 3. Juni, wiederholte Samuel bestürzt. . . Das war unmöglich! Sein Vater hatte den Laden im Winter eröffnet, ein paar Tage vor Weihnachten! Das ergab alles keinen Sinn!
    Er musste sich an der Tischplatte abstützen, seine Beine drohten zu versagen, er fühlte sich unsagbar schwach. Das lag nicht nur an der merkwürdigen Situation, sondern an ihm selbst, wie ein innerer Zusammenbruch.
    Am 3. Juni, wiederholte er fassungslos . . . Am 3. Juni, zwei Tage vor Sams Geburtstag, hatte sein Vater angeblich die Einweihung einer Buchhandlung gefeiert, die bereits seit Monaten existierte! Das war absurd, vollkommen absurd!
    Sam stützte sich vornübergebeugt mit beiden Händen auf dem Tisch ab, um nicht umzukippen, und versuchte, den Aufruhr, der in seinem Körper tobte, unter Kontrolle zu bringen. Sicher gab es für all das eine plausible Erklärung . . . Wenn die Münze ihn zwar an den richtigen Ort gebracht hatte, aber dennoch nichts mehr so war wie vorher, konnte das nur eins bedeuten: Die Vergangenheit war verändert worden. Eine andere zeitliche Sequenz musste in den Wochen, Monaten, vielleicht auch Jahren begonnen haben, die seinem vierzehnten Geburtstag vorausgingen. Eine Sequenz, in der die Ereignisse anders verknüpft gewesen waren, als er es erlebt hatte, bis hin zu dieser unwahrscheinlichen Eröffnung am 3. Juni. Das bedeutete auch, dass in dieser neuen Version der Vergangenheit Allan wahrscheinlich nicht verschwunden war – da er offensichtlich seinen Buchladen betrieb – und dass sein Sohn nicht im Keller nach ihm suchen musste . . . Infolgedessen hatte er auch nie den Sonnenstein entdeckt oder war auf die Insel Iona geraten!
    »Ich wusste es«, flüsterte jemand hinter ihm.
    Samuel drehte sich um, ohne seinen Halt an der Tischplatte aufzugeben. Wenn ihm die Stimmlage auch fremd erschien, war ihm der Tonfall ungleich vertrauter. Am Fuß der Treppe stand ein junger Mann in Jeans und weißem Hemd, ein Päckchen unter dem Arm, und betrachtete ihn eingehend. Samuel Faulkner ... Ein zweiter Samuel Faulkner! Das gleiche Alter, relativ gut aussehend, mit einer widerspenstigen Stirnlocke, die ihm in die Augen fiel, vielleicht nicht ganz so kräftig gebaut. . .
    Nicht im Geringsten erschrocken oder erstaunt, ging er auf den Neuankömmling zu und musterte ihn mit einer Mischung aus Wohlwollen und Neugier.
    »Ich bin also doch nicht verrückt«, sagte er. »Du existierst wirklich, nicht wahr?«
    Sam brachte vor Verblüffung kein Wort heraus, gleichzeitig spürte er, dass seine körperliche Hülle nicht mehr lange standhalten würde. Unter seiner Haut schien alles zu schäumen und zu prickeln, als wollte es aus ihm herausplatzen . . .
    »Die ganzen Bilder, die ich seit drei Jahren gesehen habe«, fuhr der andere Samuel fort. »Seit meiner Operation und seit das mit Mama passiert ist . . . Ich wusste gleich, dass es keine normalen Träume waren!«
    Er machte einen Schritt auf Sam zu und reichte ihm mit einer brüderlichen Geste die Hand.
    »Wenn du wüsstest, wie oft ich dich schon gesehen habe .. . Hier in Saint Mary, aber auch an vielen anderen fremden Orten. Diese verschneite Stadt, Brügge, wo du in diesem Holzrad laufen musstest. Die prähistorische Höhle, wo dich dieser riesige Bär bedrohte. Die Insel im Mittelalter, als dort die Wikingerschiffe ankamen. Und dieser Vulkan, der eine ganze Stadt verschüttet hat. Der Arzt hält es für eine Art Schizophrenie, eine Art doppelte Persönlichkeit . . . Aber ich habe immer gesagt, dass sich das alles nicht nur in meinem Kopf abspielt. Dass es real ist, dass es meine Erinnerungen sind!«
    Ratlosigkeit, beinahe Verzweiflung, klang aus seinen Worten und Sam wusste sofort, dass er der Grund dafür war. Indem er seine eigene Blinddarmoperation ausgenutzt hatte, um in das Saint Mary von vor drei
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