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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring
Autoren: Andrea Schacht
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lebend und vielleicht sogar unverletzt, das war derzeit kaum anzunehmen.
    Der schwarzbärtige Brior hatte das Schloss von seinem Vater geerbt und das zugehörige Land mit gutem Erfolg bewirtschaftet. Vor dreizehn Jahren hatte er Denise geheiratet, eine zarte, blonde Frau aus adligem Geschlecht, die er sehr liebte. Sie hatte ihm schon im ersten Ehejahr eine Tochter geschenkt, Marie-Anna, auf die er, auch wenn er es nicht häufig zeigte, sehr stolz war. Das Mädchen hatte die lockigen blonden Haare seiner Mutter geerbt, jedoch nicht deren Zartheit. Sie war ein robustes kleines Ding, das die vornehme englische Nanny kaum zu bändigen wusste. Leider hatte Denise in den darauf folgenden Jahren nur zwei tot geborene Söhne zur
Welt gebracht, so dass nach wie vor kein Erbe im Hof und in den Gärten des Chateaus herumtollte. Dann brach die Revolution über Frankreich herein.
    Zwar stießen die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auch bei den Bretonen auf Interesse, doch als es hieß, dass die Kirchen säkularisiert werden sollten und die Rekrutierungsoffiziere der Revolutionsarmee versuchten, die dringend in der Wirtschaft des Landes benötigten jungen Männer zu werben, da begehrte das schon immer seinen eigenen Gesetzen folgende Volk auf. Es bildete sich eine Gegenbewegung, die sich als katholisch und königstreu bezeichnete, und deren Mitglieder sich Chouans nannten.
    Brior le Noir war einer von ihnen.
    Doch der Kampf der Minderheit war vergebens. Im Jahr 1795, als die Chouans versuchten, mit britischer Unterstützung das neue Regime zu vertreiben, erlitten sie auf der Halbinsel Quiberon eine vernichtende Niederlage. Beinahe tausend ihrer Leute wurden unter General Hoche hingerichtet. Viele aber konnten auch fliehen und waren untergetaucht. Darunter war Marie-Annas Vater.
    »Still, Charles, hörst du? Ein Reiter!«
    Marie-Anna sah sich triumphierend zu dem Jungen um. Ein galoppierendes Pferd näherte sich, genau wie Brior stets die Allee heraufgeprescht war. Aber es war nicht der Schlossherr, der dort auf dem schwitzenden Hengst auf die heruntergelassene Torbrücke zuhielt.
    »Das ist mein Vater, Marie-Anna. Und so, wie er reitet, bringt er wichtige Botschaften. Komm, wir rennen hinter ihm her.«
    Die beiden Kinder folgten dem Reiter und sahen, wie er vor der Remise vom Pferd glitt, um sofort zum Wohnturm zu laufen. Sophy, die aus dem Küchentrakt kam, sah ihm mit bedenklicher Miene nach, nahm dann Marie-Anna wahr und ging zu ihr.

    »Ich sollte dich ausschelten.«
    »Ja, Miss Sophy.«
    »Ich tue es aber nicht. Komm mit. Ich habe das Gefühl, es ist etwas Wichtiges geschehen.«
    Sie stiegen gemeinsam die steinerne Treppe empor und klopften an die Tür des Zimmers der Schlossherrin.
    Denise, wieder hochschwanger, bewohnte die Zimmer im südlichen Turm. Bei ihr war Germain, der Verwalter und Charles Vater, und redete eindringlich auf sie ein.
    »Sie müssen fliehen, Madame. Gerüchte sagen, die Franzosen requirieren alles Gut, das den Aufständischen gehört. Die Soldaten gehen nicht eben gut mit Frauen und Kindern um.«
    »Nein, Germain, du siehst doch, ich bin nicht in der Lage, auch nur das Haus zu verlassen. Die Niederkunft steht kurz bevor. Wenn nur ein Funken Menschlichkeit in den Soldaten ist, werden sie mich nicht belästigen.«
    »Auf den Funken Menschlichkeit würde ich mich nicht verlassen, Madame. Und Ihre Tochter, sie ist zwölf, ein junges Mädchen...«
    »Ja, Marie-Anna muss gehen.«
    »Aber Sie müssen Schutz suchen, Madame. Wenigstens dürfen Sie nicht im Schloss bleiben.«
    Denise seufzte und strich Marie-Anna über die Haare. Das Mädchen hatte sich zu ihren Füßen gesetzt, die Lippen weiß vor Angst, die Finger fest verschränkt.
    »Marie-Anna, kleine Annik!«, flüsterte Denise. »Du musst tun, was er sagt. Sophy soll das Allernotwendigste einpacken. Ihr müsst zur Küste und sehen, ob ihr ein Schiff nach England findet.«
    »Maman, ich kann Sie doch nicht alleine lassen!«, schluchzte Marie-Anna auf. »Papa ist noch nicht zurückgekommen. Wir wissen nicht, was mit ihm geschehen ist.«

    »Du musst gehen, Kind. Nicht für immer. Irgendwann wird der Wahnsinn vorüber sein, und dann werden wir alle hier wieder vereint sein.«
    »Aber wo soll ich hingehen, Maman?«
    »Sophy wird dir helfen, Sir Garret zu finden. Er ist Papas Geschäftspartner. Er wird sich um dich kümmern.«
    »Darf ich vorschlagen, dass Marie-Anna sich noch heute Nacht auf den Weg zur Küste macht, Madame. An der Ile de
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