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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring
Autoren: Andrea Schacht
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Empfindungen, die er, wenn überhaupt, für sein Privatleben reserviert hielt.
    Missmutig schlug er die Unterlagen des Vorgangs auf, die der alte Staatsanwalt in der Kategorie »Erledigt« abgelegt hatte. Der Fall war nicht erledigt, selbst ein flüchtiges Studium der Aktenlage zeigte das schon. Dazu waren weder das Interesse der Öffentlichkeit noch die Presseberichte und genauso wenig die plötzlich aufgetauchten Zeugenaussagen notwendig, um zu erkennen, dass hier schlampig gearbeitet worden war.
    Im vergangenen Jahr, am siebten Juli, war der Schlagersänger Caesar King, bürgerlich Julian Kaiser, in den
frühen Morgenstunden mit seinem Fahrzeug gegen einen Brückenpfeiler geprallt. Er war sofort tot. Was oberflächlich wie ein Unfall aussah, zeigte sich bei näherer Betrachtung diffiziler. Die Autopsie erbrachte nämlich, dass sich eine hohe Dosis Beruhigungsmittel im Blut des Mannes befand. Die Frage, ob es sich um Fahrlässigkeit oder Vorsatz handelte oder ob gar ein Dritter dem Mann die Drogen verabreicht hatte, war nicht geklärt worden. Warum auch immer, die Ermittlungen waren außerordentlich nachlässig durchgeführt worden. Irgendwann nach einem halben Jahr hatte Falko Romans Vorgänger die Untersuchungen für abgeschlossen erklärt und den ganzen Vorfall als Unfall abgetan.
    Dabei waren verschiedene Punkte völlig offen geblieben. Zum Beispiel war Julian Kaiser am Vortag seines Todes um sechzehn Uhr von seinem Studio in Köln aufgebrochen, um seinen nächsten Termin um zwanzig Uhr in Koblenz wahrzunehmen. Dort war er nicht angekommen. Wo er die zwölf Stunden bis zu dem Unfall verbracht hatte, wusste niemand wirklich. Angeblich hatte er seine Geliebte besucht. Diese Aussage seiner Frau hatte sich allerdings als Wahnvorstellung erwiesen. Soweit bekannt war, gab es keine Geliebte.
    Aber jetzt war ein Zeuge aufgetreten, der sich auf Grund des Presserummels, der eben mal wieder entstanden war, daran erinnerte, Julian Kaiser um siebzehn Uhr gesehen zu haben. Und zwar bei seiner Tochter. Seiner unehelichen Tochter, von deren Existenz bisher niemand in der Öffentlichkeit etwas geahnt hatte, die jetzt aber die Skandalblätter füllte. Diese Rosewita van Cleve hatte den Ermittlern verschwiegen, ihren Vater am Vorabend seines Todes getroffen zu haben. Warum, das war eine außerordentlich interessante Frage. Zumal die junge Frau vor zwei Wochen selbst mit einer bedrohlichen Menge Beruhigungsmittel im Körper ins Krankenhaus
eingeliefert worden war. Ein Selbstmordversuch? Oder hatte derjenige, der Julian Kaiser die Drogen verabreicht hatte, es auch bei ihr probiert?
    Falko Roman hatte sich im Laufe der Woche noch einige Zusatzinformationen geben lassen und studierte sie an diesem Freitag. Zuletzt nahm er sich die beiden knallig aufgemachten Boulevardzeitungen vor und betrachtete die Fotografien.
    »Verdammte Scheiße!«, murmelte er und warf die Blätter ganz entgegen seiner ansonsten so kühlen und beherrschten Art in den Papierkorb.
    Rosewita van Cleve und Anahita Kaiser, Töchter von Julian Kaiser, waren keine Unbekannten für ihn. Im Gegenteil – sie waren ihm nur zu gut bekannt. Er griff zum Telefon, um den Mann anzurufen, mit dem ihn, seit er denken konnte, tiefe Verbundenheit und Zuneigung verbanden. Valerius Corvin, der Bruder seiner Mutter, zwölf Jahre älter als er, hatte praktisch Elternstelle an ihm vertreten.
    »Valerius, ich habe eine ausgesprochen unangenehme Sache in Erfahrung gebracht. Ich muss dich bitten, in der nächsten Zeit keinen Kontakt mit dieser Anahita Kaiser oder ihrer Schwester aufzunehmen.«
    »Warum?«
    »Der Fall Julian Kaiser wird wieder aufgerollt. Es besteht Mordverdacht. Die beiden sind darin verwickelt.«
    »Falko, könnte es sein, dass du einer gewissen Voreingenommenheit unterliegst?«
    »Nein, Valerius. Ich habe genug Material zusammen.«
    »Nicht Anita, Junge!«
    »Wenn einer voreingenommen ist, dann du, Val.«
    Sein Gesprächspartner schwieg.
    »Valerius, du hast diese Frau zwei Mal in deinem Leben gesehen. Was weißt du von ihr?«

    »Nicht viel, da hast du Recht. Und was weißt du von ihr?«
    »Beispielsweise, dass sie zwei Jahre lang mit einem Drogendealer zusammengelebt hat.«
    »Und?«
    »Mit mindestens einem Drogensüchtigen und einer Medikamentenabhängigen noch im vergangenen Jahr durch die Ferienclubs getingelt ist.«
    »Und?«
    »Eine nicht zu verachtende Erbschaft gemacht hat.«
    »Soweit ich verstanden habe, war sie noch nicht einmal in Deutschland, als ihr
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