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Der Liebestempel

Der Liebestempel

Titel: Der Liebestempel
Autoren: Carter Brown
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hatte, war sie
plötzlich in hysterisches Weinen ausgebrochen. Also tauchte sie möglicherweise
auf der Suche nach professionellem Mitgefühl demnächst wieder hier auf, aber — wie
ich hoffte — nicht, bevor wir ein langes intimes Gespräch bei ihr zu Hause
geführt hatten.
    Das blonde Mädchen kehrte in
den Raum zurück, gefolgt von einem Burschen um Dreißig herum. Er war groß und
entsprach genau der Abbildung des idealen amerikanischen Sporthelden in jeder
Frauenzeitschrift — breitschultrig, mit umfangreichem Brustkasten und fast
keinen Hüften. Dichtes rötlichbraunes Haar stand in einer Art kurzer Siouxindianerfrisur nach oben und paßte in der Farbe ausgezeichnet zu dem mageren tiefgebräunten Gesicht. Seine Augen
waren dunkelgrau und offenbar von irgendeiner inneren Ausstrahlung erhellt, so
daß man, wenn er einen direkt anblickte, das Gefühl hatte, im Lichtstrahl einer
Taschenlampe zu stehen. Er trug ein Trikothemd und alte Jeans von dem bewußten
eleganten Schnitt, bei dem man automatisch vermutet, daß sie für ihn persönlich
von Cardin entworfen wurden.
    »Ich bin Rafe Kendall.« Er lächelte und zeigte dabei blendendweiße Zähne, aber es war ganz
allein das hypnotische Timbre der völlig klaren Stimme, das einen gefangennahm . »Sie wollten mit mir sprechen, Lieutenant?«
    »Ein Tempel der Liebe?« Ich sah
mich bedächtig um. »Ich kann hier nichts sehen, was die Sitte irgendwie
interessieren könnte.«
    »Das Wort >Liebe< hat
weit mehr Bedeutungen als die des Geschlechtsakts«, sagte er leichthin. »Wir
glauben an die einzig wirksame Therapie menschlicher Liebe. Sie kann die
meisten emotionellen Probleme lösen, wenn die Menschen nur ausreichend an sie
glauben, um im Rahmen ihres eigenen Lebens diese Liebe zu praktizieren. Aber
wir sind keine religiöse Sekte, Lieutenant, und sind auch nicht an Psychologie
als solcher interessiert. Das hier ist lediglich eine Gruppe von Menschen, die
sich durch ihren eigenen, ganz speziellen Glauben an die Macht der Liebe
verbunden fühlen. Wir existieren von den freiwilligen Beiträgen unserer Mitglieder,
und wir zahlen Steuern.« Er lächelte erneut. »Sie können jederzeit Einsicht in
unsere Bücher nehmen.«
    »Lassen Sie sich nur nicht
aufhalten«, brummte ich. »All diese Antworten ersparen mir die ganze Mühe, mir
Fragen auszudenken.«
    »Sie haben zu Justine etwas wegen eines Mordes gesagt?« Er zuckte die
Schultern. »Darüber weiß ich nun nichts, und so werden Sie leider anfangen
müssen, Fragen zu stellen.«
    » Mrs. Magnuson ist ein — äh — Mitglied Ihrer Gruppe, ja?«
sagte ich. »Man hat heute morgen ungefähr anderthalb
Kilometer von ihrem Haus entfernt die Leiche ihres Ehemanns aus dem See
gezogen. Er ist erschossen worden.«
    »Gail?« Seine Augen wurden
größer. »Das ist ja entsetzlich!«
    »Ihr Mann wurde seit einem Jahr vermißt . Ich dachte, sie hätte ihn Ihnen gegenüber
vielleicht gelegentlich erwähnt?«
    »Nein, ich glaube, nicht.«
Kendall dachte ein paar Sekunden lang konzentriert nach und schüttelte dann
entschieden den Kopf. »Ich hielt sie immer für eine Witwe. Ich glaube nicht,
daß sie das je behauptet hat, aber ich hatte so allgemein den Eindruck.« Er
blickte zu dem blonden Mädchen hinüber. »Was hast du geglaubt, Justine ?«
    »Dasselbe«, sagte das Mädchen.
»Wie schrecklich für sie!«
    »Seit wann kommt Gail hierher?«
fragte ich.
    »Seit sechs oder vielleicht
sieben Monaten«, sagte Kendall. »Sie schien damals sehr einsam und
hilfsbedürftig zu sein. Ich glaube nicht, daß sie seither auch nur bei einer
unserer wöchentlichen Zusammenkünfte gefehlt hat. Ich möchte gern annehmen, daß
wir ihr helfen konnten.« Seine Stimme war von tiefem Mitleid erfüllt. »Danach
wird sie jetzt sicher aller Hilfe bedürftig sein, die wir ihr geben können.«
    »Und aller Liebe auch?« sagte
ich milde.
    »Das vor allem.« Er lächelte
mir zu wie einem intelligenten Studenten, der soeben die richtige Frage gestellt
hat. »Wir werden unser Bestes für sie tun, Lieutenant, darauf können Sie sich
verlassen. Es tut mir leid, daß ich Ihnen bei Ihren Ermittlungen nicht
behilflich sein kann, aber Gail hat niemals etwas aus ihrem Privatleben
erwähnt, und hier stellen wir natürlich nie irgendwelche Fragen.«
    »Natürlich nicht«, echote das
blonde Mädchen lebhaft.
    »Nun, jedenfalls vielen Dank«,
sagte ich. »Wenn mir noch etwas einfällt, komme ich wieder vorbei.«
    »Tun Sie das, Lieutenant.« Die
warme suggestive Stimme
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