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Der Liebestempel

Der Liebestempel

Titel: Der Liebestempel
Autoren: Carter Brown
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Polizeibeamter
hat dauernd mit echten und vorgetäuschten Fakten zu tun, und auf echte Fakten
war ich bisher noch nicht gestoßen. Vorgetäuschte gab es wahrscheinlich eine
ganze Menge, aber ich wagte nicht zu überlegen, warum; denn das hätte eine
weitere unbeantwortbare Frage aufgeworfen. Möglicherweise wäre jetzt der
richtige Zeitpunkt gewesen, die neue Technik auszuprobieren, mit der ich mich
schon eine ganze Weile beschäftigt hatte. Die, bei der man aufhört, Fragen zu
stellen und einfach sagt: Ich kenne die Wahrheit bereits, aber ich möchte sie
gern von Ihnen hören. Bei meinem sprichwörtlichen Glück würden dann vermutlich
alle die Wahrheit erzählen, und ich würde sie nicht glauben.
    Samantha saß hinter dem Lenkrad
in meinem Wagen, mit einer Hand fest den Schalthebel umklammernd. Sie blickte
mit einem Ausdruck ruhigen Triumphs zu mir auf.
    »Ich bin die erste Fahrerin,
die den Preis von Indianapolis gewonnen hat«, erklärte sie.
    »Gratuliere!« sagte ich.
    »Und auch noch mit
Rückwärtsfahren.«
    »Mit Rückwärtsfahren?«
    »Ein paar hundert Meter vom
Ziel entfernt ist mir ein Vorderreifen geplatzt. Alle dachten, es würde mich
aus der Bahn wirbeln; aber ich ließ den Wagen einfach weiterdrehen, bis er mit
dem Hinterteil über der Ziellinie war. Stirling Moss
hat mir ein Telegramm geschickt und mich gefragt, ob ich ihm Fahrstunden geben
würde.«
    »So was!« sagte ich mit
angemessen ehrfurchtsvoller Stimme. Sie stieg aus und hielt mir höflich die Tür
auf. Ich glitt auf den Fahrersitz und schloß die Tür, während sie mit über der
Brust gefalteten Händen dastand.
    »Vielleicht würdest du gern mal
mit mir fahren?« schlug ich vor. »Ich weiß ungefähr sieben Kilometer von hier
entfernt eine ungeteerte Straße, die kaum jemals von
jemandem befahren wird.«
    »Das wäre nett. Vielleicht
könnten Sie mir ein paar Dinge zeigen, bei denen ich mir nicht sicher bin, zum
Beispiel, wie man bei Maximalgeschwindigkeit herunterschaltet und wie man
gegensteuert, wenn man ins Schleudern gerät.«
    »Vielleicht könntest du mir das
zeigen?« Ich schluckte mühsam.
    »Ich kenne die Theorie des
doppelten Auskuppelns mit Schuhspitze und Absatz«, sagte sie leichthin, »und
ich weiß über das Winkelverhältnis zwischen Vorder- und Hinterräder beim
Schleudern Bescheid, aber ich habe es nie erlebt, wissen Sie.«
    »Für ein Mädchen deines Alters weißt
du eine Menge«, gestand ich beeindruckt.
    »Jetzt sind Sie nichts als ein
dummer Erwachsener.« Die großen grauen Augen sahen mich anklagend an. »Sie
werden nie herausfinden, wer meinen Daddy umgebracht hat, wenn Sie rumlaufen
und auf so alberne Weise glauben, ich wüßte nichts, nur weil ich zehn Jahre alt
bin.«
    »Ich glaube, daß du eine ganze
Menge Dinge weißt«, sagte ich. »Jedenfalls weißt du für ein Mädchen deines
Alters eine ganze Menge über Autorennen.«
    »Das liegt daran, daß ich mir
nie was aus Mädchensachen gemacht habe«, sagte sie. »Mädchen sind völlig
nutzlos, wenn sie sich mit so was abgeben. Als ich sehr jung war — vor ein paar
Jahren — , hat mir Mommy immer so scheußliche Puppen
mit großen dummen Augen und völlig verrückten Wimpern gekauft. Irgendwie haben
sie mich alle an sie erinnert, weil sie genauso blöde und hilflos dreinsahen
wie sie selber, wenn sie sich mit Daddy stritt. Aber sie hörte bald auf, mir
Puppen zu schenken, als sie dahinterkam, daß ich sie ermordete. Danach konnte
ich sie um wirklich nützliche Sachen bitten, wie zum Beispiel eine
Modellrennbahn.«
    »Du hast die Puppen ermordet?«
murmelte ich.
    »Mit einer von Daddys alten
Rasierklingen. Ich schnitt ihnen immer die Köpfe ab und dann die Arme und Beine
und versteckte sie im Haus. Mommy kriegte einmal
beinahe einen hysterischen Anfall, als sie einen Puppenkopf unter ihrem
Kopfkissen fand.« Sie kicherte beglückt. »Jetzt sagt sie, sie versteht mich
nicht. Sie weiß nicht mal, daß es auch so sein soll. Wenn die Erwachsenen
anfingen, Kinder zu verstehen, dann müßten die Kinder sie ermorden, einfach aus
Notwehr. Nicht wahr?« Ihr Gesicht wurde plötzlich ernst. »Na, ich glaube, sie
wird jetzt Onkel Paul heiraten, und alles wird ganz gräßlich sein.«
    »Glaubst du, daß sie das
wirklich tun wird?« fragte ich, nur um etwas zu sagen.
    »O ja!« Samantha nickte
energisch. »Vor ein paar Wochen bin ich mal zu ihnen hineingeplatzt, und da
standen sie und küßten sich.« Sie rümpfte angewidert
die Nase. »Ich war sehr überrascht, das kann ich
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