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Der Liebestempel

Der Liebestempel

Titel: Der Liebestempel
Autoren: Carter Brown
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gemessenen Schritts
aus dem Zimmer, und das Gewicht ihrer zehnjährigen Weisheit lastete schwer auf
ihren Schultern. Gail Magnuson ging zum nächsten
Sessel und setzte sich, während sie völlig überflüssigerweise die Falten ihres
knöchellangen Morgenrocks neu ordnete. Ihre Augen waren rot umrändert und
gedunsen. Die füllige Unterlippe zuckte trotzig, vielleicht nach wie vor aus
mütterlicher Mißbilligung .
    »Ich muß mich für das Ganze
entschuldigen, Lieutenant.« Sie machte eine hilflose Geste. »Wahrscheinlich hat
Samantha nur einfach ihrem Alter entsprechend dahergeredet, aber Paul Bryant
ist uns seit Hanks Verschwinden ein solch guter Freund gewesen.«
    »Natürlich!« Ich nickte
höflich. »Er hat mir von seinen Plänen, die Tankstelle zu erweitern, erzählt
und auch, daß Ihr Mann damals mit den zehntausend Dollar einfach nicht mehr
aufgetaucht ist. Es war Ihr Geld, sagte er?«
    »Ja.« Ihre langen, schmalen
Finger zupften an den Falten ihres Morgenrocks. »Mein Vater starb vor ungefähr
drei Jahren und hinterließ mir ein recht ansehnliches Vermögen. Ich weiß nicht,
was wir sonst während dieses letzten Jahres gemacht hätten.«
    »Bryant erzählte mir auch, daß
Ihr Mann, drei Monate nachdem er mit dem Geld verschwunden war, eines Abends
bei ihm in der Tankstelle aufgetaucht sei. Haben Sie eine Ahnung, was damit
gemeint sein könnte, als er sagte, >sie< seien hinter ihm her?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich
habe nicht die geringste Ahnung, Lieutenant. Vielleicht bat sich Hank das Ganze
bloß ausgedacht, um Pauls Mitgefühl zu erregen?«
    »Womit hat Ihr Mann seinen
Lebensunterhalt verdient?«
    »Ich weiß, das klingt dumm«,
sie lächelte nervös, »aber ich weiß es einfach nicht. Zu Beginn unserer Ehe,
als er immer verreiste, pflegte ich ihn danach zu fragen. Er wich stets aus und
machte Späße darüber. Er erklärte mir, er sei Reisender und verkaufe Giraffen
an Zoos oder Trapeze an Zirkusse. Dann bestand ich eines Abends darauf, die
Wahrheit zu hören, und da verlor er die Geduld.« Mit einer Hand berührte sie
leicht eine Seite ihres Gesichts. »Eine Woche lang war der blaue Fleck zu
sehen. Danach habe ich nie mehr Fragen gestellt.«
    »Hatten Sie an dem Tag, als er
mit den zehntausend Dollar verschwand, den Eindruck, irgend
etwas sei nicht in Ordnung?«
    »Nein. Er war von der ganzen
Idee sehr begeistert gewesen. Er mochte Paul gern und sprach fortgesetzt davon,
was für eine gute Geldanlage das Ganze sei.«
    »Hatte er irgendwelche Feinde?«
    »Soviel ich weiß, nicht — abgesehen
von sich selber. Er hatte einen ausgesprochen jähzornigen Charakter, und
zeitweise schien er jedermann zu hassen, einschließlich sich selber. Es war in
den letzten Jahren nicht gerade eine ideale Ehe, die wir führten. Ich versuchte
um Samanthas willen, das Beste daraus zu machen. Hank war die meiste Zeit über
verreist, aber selbst wenn er zu Hause war, tat er nie etwas. Er nahm mich
niemals irgendwohin mit, und der einzige Freund, den wir hatten, war Paul
Bryant. Und noch etwas — Hank trank sehr viel, und er war fast jeden Tag
bereits um die Abendessenszeit betrunken.«
    Sie holte schnell und tief
Atem. »Es tut mir leid, daß er tot ist, aber eben nur so, wie einem jedermann
deswegen leid tun würde. Er ist mir vor einem Jahr
davongerannt, und das ist für jede Frau schwer zu ertragen. Was ich nicht
verstehe ist, warum er hierher zurückgekommen ist — nur um den Tod zu finden.
Ich meine, natürlich konnte er nicht wissen, daß er sterben würde, aber warum
ist er überhaupt zurückgekommen?«
    »Vielleicht brauchte er
dringend Hilfe und dachte, Sie seien die einzige, die ihm beistehen könne?«
    »Ich glaube nicht, daß Hank so
viel von mir hielt.« Sie zuckte leicht die Schultern. »Aber möglich ist es
natürlich.«
    »Gibt es außer Ihnen und Paul
Bryant noch jemanden, der Ihren Mann gut kannte? Vielleicht hatte er einen
Freund in der Stadt?«
    »Wenn ja, hielt er das sehr
geheim.«
    »Fällt Ihnen gar nichts ein,
das dazu beitragen könnte, den Mörder Ihres Mannes zu finden?« beharrte ich.
    »Nichts«, sagte sie mit
ausdrucksloser Stimme. »Tut mir leid, Lieutenant.«
    Ich gab ihr meine Visitenkarte,
äußerte die routinemäßige Bitte, sie möchte mich anrufen, wenn ihr etwas
einfiele, und entfernte mich. Der Gedanke, wie es Hank Magnuson möglich gewesen war, selbst für seine eigene Frau praktisch unsichtbar zu
bleiben, beunruhigte mich, und so grübelte ich darüber nach. Ein
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