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Der Liebestempel

Der Liebestempel

Titel: Der Liebestempel
Autoren: Carter Brown
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gescheitelt, umgab wie zwei
Flügel die mageren Konturen ihres Gesichts. Die großen grauen Augen glichen
genau denen ihrer Tochter, aber ihr Mund zitterte leicht. Die volle,
geschwungene Unterlippe verriet, daß es sich um eine sowohl gefühlvolle als
auch leicht verletzbare Frau handelte. Sie trug eine blaue Hemdbluse, die ihre
kleinen Brüste betonte, und eine Hose aus Seidenleinen, die eng um ihre
schmalen Hüften und die langen gutgeformten Beine lagen. Sie war
schätzungsweise dreißig Jahre alt und — eine reine Geschmacksfrage — war
entweder schön oder litt an Vitaminmangel.
    »Gail«, Bryant ergriff ihren
Ellbogen und schob sie leicht auf mich zu, »das ist Lieutenant Wheeler.«
    »Lieutenant...« Sie lächelte
unsicher. »Paul hat mir erzählt, Sie hätten die Leiche meines Mannes im See
gefunden — und er sei ermordet worden?«
    »Es tut mir sehr leid, Mrs. Magnuson «, sagte ich
höflich. »Leider muß ich Sie bitten, den Toten zu identifizieren.«
    »Das verstehe ich.« Sie nickte
schnell. »Kommst du auch mit, Paul?«
    »Natürlich«, sagte Bryant.
»Können wir uns dort mit Ihnen treffen, Lieutenant?«
    »Klar!« Ich nickte.
    »Ich glaube, ich gehe jetzt und
ziehe mir etwas Passenderes an«, sagte die Witwe mit vager Stimme. »Verzeihen
Sie, Lieutenant, aber das ist ein ziemlicher Schock für mich. Ich habe nicht
erwartet, je wieder etwas von meinem Mann zu hören, ob lebend oder tot.«
    Sie verließ das Zimmer, und ich
hörte, wie sie die Treppe hinaufeilte. Bryant rieb sich mit dem Daumennagel den
Schnurrbart, was ein leise kratzendes Geräusch verursachte. Er trug jetzt einen
dunkelgrauen Anzug, der elegant aussah, aber irgendwie nicht richtig saß.
    »Das ist im Augenblick nur der
Schock«, sagte er plötzlich. »Später wird sie froh sein, daß alles vorbei ist.«
    »Sie meinen, sie wird froh
sein, daß man ihren Mann ermordet hat?«
    »Nein!« Er starrte mich finster
an. »Ich meine, froh, daß zwischen ihr und Hank ein für allemal alles erledigt ist. Froh, daß sie frei ist und ihr eigenes Leben wieder
aufnehmen kann.«
    »Können Sie mir nicht etwas
über Hank Magnuson erzählen?« sagte ich.
    »Ich glaube, es wäre besser,
wenn Sie das von Gail hören würden.«
    »Von ihr höre ich es; dann
später«, sagte ich in scharfem Ton. »Im Augenblick möchte ich es von Ihnen
wissen.«
    Bryant nahm eine Zigarette aus
einem zerdrückten Päckchen und zündete sie sorgfältig an. Auf seinem Gesicht
lag ein Ausdruck leichter Verlegenheit. »Er war ein Strolch. Ein zu nichts
taugender, bösartiger, betrügerischer Strolch, und ich wundere mich bloß, daß
er überhaupt so lange gelebt hat. Was halten Sie von diesem Nachruf?«
    »Er ist klar und eindeutig«,
gab ich zu. »Wie wäre es mit ein paar Begründungen?«
    »Ich habe ihn — und Gail — vor
ungefähr drei Jahren kennengelernt. Das war, als die Magnusons hier einzogen. Mir gehört eine Tankstelle ganz hier in der Nähe — dort, wo die
Zufahrtstraße sich mit der Autoschnellstraße kreuzt. Wir wurden also sozusagen
Nachbarn und befreundeten uns nach einer Weile auch. Hank war viel fort, und
ich kam gelegentlich zu Gail und der Kleinen, Samantha, zum Abendessen.
Manchmal nahm ich die beiden auch an einem Sonntag mit zu einem Picknick am
See. Wenn Hank zu Hause war, machte er mit. Dann, vor ungefähr zwei Jahren,
bekam ich die Möglichkeit, ein großes Seegrundstück unmittelbar hinter der
Tankstelle zu kaufen. Es war eine verdammt gute Gelegenheit; wir sind hier
gerade ausreichend weit von Pine City entfernt, um
den Leuten das Gefühl zu vermitteln, wirklich von dem ganzen Stadttrubel weg zu
sein. Ich überlegte, daß ich, wenn ich das Grundstück kaufte, vielleicht ein
paar Hütten bauen und einen kleinen Laden aufmachen könne. Etwas für Familien,
die über das Wochenende herauskommen oder sogar den gesamten Urlaub hier
verbringen könnten. Ich stellte mir vor, ich könnte ihnen eine Hütte und ein
Boot vermieten, ihnen Lebensmittel und Fischköder verkaufen und ihre Autos
betreuen. Nur einen Haken hatte die Sache — ich hatte nicht das erforderliche
Geld.
    Eines Abends, als ich hier zum
Abendessen war, brachte ich das Projekt zur Sprache. Hank schien ehrlich
interessiert und fragte, wieviel Geld ich dafür
brauchte. Ich erklärte ihm, ungefähr zwanzigtausend Dollar; und danach begann
er, von einer Partnerschaft zu reden. Er wollte die zwanzigtausend aufbringen,
und wir sollten uns in den Gewinn teilen. Ich sollte als Manager
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