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Der Liebe Gott Macht Blau

Titel: Der Liebe Gott Macht Blau
Autoren: Arto Paasilinna
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zahlte achtzehn Jahre lang Alimente.
    Pirjeri stammte ursprünglich aus dem Stadtteil Alppila in Helsinki, seine Eltern waren nach dem Krieg aus der Provinz dorthin gezogen. Sein Vater, Gutsverwalter Johannes Ryynänen, war durch das Landbeschaffungsgesetz arbeitslos geworden, seine Dienststelle, ein großes Landgut in Myrskylä, hatte einen beträchtlichen Teil des Grund und Bodens an Umsiedler aus Karelien abtreten müssen. Johannes Ryynänen war nach Helsinki gezogen, wo er Arbeit als Straßenbahnfahrer gefunden hatte.
    Pirjeris Mutter war vornehmerer Herkunft, sie war die Tochter eines Pfarrers der Landkirchengemeinde von Lohja. Nach ihrer Kenntnis stammte ihre Familie ursprünglich aus Frankreich, die Vorfahren waren Wallonen gewesen, die zur Zeit Gustavs II . als Metall- und Bergarbeiter nach Schweden geholt worden waren. Pirjeris Mutter behauptete gern, dass jene Familie namens Ventuerée, die im achtzehnten Jahrhundert ins finnische Mustio umgezogen war, sogar dem niederen Adel angehört hatte. Ihr Vater, Pfarrer Kristo Ventturoinen, hatte in der Dreißigerjahren im großen Stil Ahnenforschung betrieben und die Geschichte der Ventuerées untersucht, aber als sich herausgestellt hatte, dass es in der Familie, außer dem wallonischenStammvater, auch eine ganze Reihe von Pferdedieben, Mördern und Gottesleugnern gegeben hatte, hatte er die Sache auf sich beruhen lassen. Pirjeris Mutter war also eine geborene Ventturoinen. In ihrer Familie hatte es mehrere Pfarrer gegeben, der bedeutendste von ihnen war Anatoli Ventturius, Probst von Yli-Kiiminki, gewesen.
    Pirjeris Mutter benutzte nur selten eine Straßenbahn, die von ihrem Gatten gelenkt wurde. Das war auch besser so, denn sie hatte einen hitzigen Charakter und konnte es sich nicht verkneifen, den Fahrstil ihres Mannes zu kritisieren. Zu Zeiten des Generalstreiks passierte es einmal versehentlich, dass die Eheleute im selben Wagen auf der Hauptlinie saßen. Da war der Streit vorprogrammiert. Pirjeris Mutter konnte es wieder einmal nicht lassen, an ihrem Mann herumzumäkeln, und sie rief ihm von ihrem Sitz aus giftige Bemerkungen zu, unter anderem über seine Art, zu bremsen und zu beschleunigen.
    Die Fahrt ging von Kallio nach Hakaniemi. Die Gattin schimpfte wie gewöhnlich über die zu hohe Geschwindigkeit. Ryynänen mochte sich von seiner Frau nicht belehren lassen und fuhr allzu hastig die abschüssige Strecke zum Hakaniemi-Markt hinunter. Wenn man auf den Markt einbiegt, fährt man durch eine Kurve. Die hohe Geschwindigkeit ließ die Bahn aus den Schienen springen, und sie kippte um. Auf der Seite liegend, rutschte sie bis auf den Markt, alle Fensterscheiben, die mit dem Straßenpflaster Kontakt hatten, zerbrachen. Ein Fahrgast wurde leicht verletzt, das zweite Opfer war ausgerechnet Frau Ryynänen. Sie schlug mit dem Kopf gegen die Haltestange im Wagen und handelte sich eine schlimme Verletzung ein, die ihr Sprachzentrum dauerhaft lähmte. Von da anherrschte wieder Eintracht in der Wohnung der Ryynänens in Alppila.
    Der Vater hätte seinen Sohn gern Kauko genannt, aber die Mutter wollte es vornehm; »Birger« hörte sich in ihren Ohren sowohl adelig als auch hübsch an. Vor dem Krieg in Myrskylä war ihre erste Liebe ein Student namens Birger gewesen, Sohn eines gewissen Ingenieurs Lönström.
    Der Bursche hatte auf den Feldern der Pfarrei im Heu gearbeitet, und die Mutter erinnerte sich ihr Leben lang, wie schmuck jener Birger ausgesehen hatte, als er, mit der Studentenmütze auf dem Kopf, durch das raschelnde Heu zu ihr gekrochen war. Die Mutter rief ihren Sohn nie Pirjeri, so wie alle anderen, sondern stets: »Birger, Liebling.«
    Nach dem Unfall in der Straßenbahn sprach Pirjeris Mutter kein Wort mehr. Und so geriet auch der offizielle Namen des Sohnes in Vergessenheit, denn niemand benutzte ihn mehr. Inzwischen war Pirjeris Mutter bereits tot, der Vater seit Jahren pensioniert. Er wohnte immer noch in der kleinen Zweizimmerwohnung in Alppila. Auf seiner Kommode stand das Modell einer Straßenbahn der damaligen Hauptlinie. Er hatte es kurz vor seiner Pensionierung bei einem Eisangelwettbewerb des Personals der Verkehrsbetriebe gewonnen.
    Der zweite Gegenstand mit Erinnerungswert in seiner Wohnung war ein verrosteter Eggenzahn aus seinen Verwalterjahren in Myrskylä.
    Pirjeri hatte neuerdings eine Freundin, bei der er wohnen durfte, eine geschiedene Frau namens Eija Solehmainen, sie war gut dreißig Jahre alt und arbeitete in der staatlichen
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