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Der Liebe Gott Macht Blau

Titel: Der Liebe Gott Macht Blau
Autoren: Arto Paasilinna
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Druckerei. Eine anständige Person, gutaussehendund tüchtig, allerdings ungeheuer eifersüchtig. Die beiden wohnten in der Runeberginkatu in Töölö, in der dritten Etage und zur Straße hinaus. Sie hatten sich an den Verkehrslärm gewöhnt, und die Nachbarn offenbar auch an den Lärm in der Wohnung, denn Eija machte Pirjeri von Zeit zu Zeit heftige Szenen, immer dann, wenn sie ihn im Verdacht hatte, dass er sie betrog. Dabei zerschmiss sie gern Geschirr und weinte herzzerreißend. Oft schrie sie aus vollem Hals.
    Pirjeris Mutter hatte ihren Sohn zu lutherischer Frömmigkeit erzogen, hatte ihn in die Sonntagsschule geschickt, ihn Abendgebete und geistliche Lieder gelehrt. Pirjeri war konfirmiert worden, und er war nicht einmal in seiner Studentenzeit aus der Kirche ausgetreten, obwohl das damals, in den Sechzigerjahren, sehr in Mode gewesen war.
    Pirjeri wuchs zu einem sanften und gutmütigen Burschen heran, zu einem Menschen, der seinen Glauben kannte. Er wurde allerdings kein frömmelnder Schlappschwanz, sondern ein robuster Mann, der notfalls auch hart reagierte. Er setzte durchaus seine großen Pranken ein, falls es die Situation erforderte.
    Pirjeri war auch jetzt mit vierzig Jahren noch in gewissem Maße gläubig, auf finnisch ungläubige Art. Er praktizierte Religion nicht, indem er in die Kirche ging, ihm reichte eine persönliche Beziehung zu Gott. Er sandte im Bedarfsfalle ein frei gestaltetes, inbrünstiges Gebet zum Himmel. Wurde es erhört und seine Bitte erfüllt, war es gut, und Pirjeri fand seinen Glauben an die Existenz des Allmächtigen bestätigt. Hatte er aber umsonst gebetet, zuckte er nur die Achseln und sagte sich, dass es kein Verlust gewesen war, allem Anschein nach gab es doch keinen Gott. Inkalten Wintern, wenn er in seiner öden und zugigen Kranfahrerkabine saß und ihn die schneidenden Winde durchfuhren, bat er Gott zum Zeitvertreib um besseres Wetter, damit nicht der Rheumatismus seine Gelenke zuschanden machte. An sonnigen Sommertagen fielen seine Gebetsaktivitäten schwächer aus.
    Die Arbeit eines Kranfahrers war einsam und manchmal auch langweilig. Unten auf der Baustelle trödelten die faulen Handlanger herum, tranken Kaffee oder rauchten, der Kran stand dann still und unbeweglich da, manchmal stundenlang. Der Fahrer hockte finster in seiner Kabine, da er nicht extra hinunterklettern mochte. Es blieb jedem Fahrer selbst überlassen, wie er seine Zeit auf solchen Baustellen verbrachte. In Pirjeris Kabine lagen immer ein paar Bücher griff bereit, Romane oder auch Sachbücher, ebenso ein Feldstecher mit scharfer Linse, mit dem er die Welt um sich herum betrachtete. Er pflegte sich vielfältige Gedanken über das Weltgeschehen zu machen.
    In den letzten Jahren hatte Pirjeri begonnen, einseitige Gespräche mit Gott zu führen. Auch jetzt blickte er aus dem Kranfenster schräg nach oben zum Himmel, in die Gegend über dem Finnischen Meerbusen, wo er Gott vermutete, und sagte:
    »Verehrter Herrgott, guten Tag, hier spricht wieder mal Pirjeri Ryynänen aus Finnland.«
    Dann wartete er eine Weile, damit Gott seine momentane Beschäftigung unterbrechen und sich auf den tagesaktuellen Monolog des Kranfahrers konzentrieren konnte.
    »An deiner Stelle würde ich mich stärker in die Schreckensregime der afrikanischen Militärdiktatoren einmischen. Denk nur an die Hutu, die viele tausend Tutsigetötet haben, ihre Soldaten sind von Dorf zu Dorf gezogen und haben die Leute einfach abgeschlachtet. Wenn ich Gott wäre, hätte dieses Morden auf der Welt ein Ende. Was treibst du eigentlich dort oben im Himmel? Gibt es dich überhaupt? Taugst du zum Gott? Und dann die Lage in Indien, von der schon vorige Woche die Rede war. Allein in Kalkutta sterben täglich hundert Menschen an Hunger und Krankheiten. Es sieht nicht gut aus!«
    Pirjeri Ryynänen nahm sämtliche Krisenherde der Welt durch, zählte alle Gebiete mit Hungersnot, die Länder mit politischer Verfolgung und Folter, die schlimme Not vergewaltigter Frauen, die Unterdrückung bestimmter Rassen, Freiheitsberaubung auf … und immer in Abständen ließ er einfließen, dass all dies auf der Stelle ein Ende hätte, wenn er über göttliche Macht verfügen würde.
    Manchmal steigerte sich Pirjeri so sehr in seine Monologe hinein, dass er in Rage geriet, in seiner hallenden Glaskabine die Stimme erhob und in Gottes Richtung, also zum Himmel über dem Finnischen Meerbusen, die Fäuste schwenkte, dem Allmächtigen die Leviten las. Der Kranfahrer
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