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Das Ende des Dollar-Privilegs

Das Ende des Dollar-Privilegs

Titel: Das Ende des Dollar-Privilegs
Autoren: Barry Eichengreen
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KAPITEL 4
KONKURRENZ
    Wenn die Ausländer keine andere Möglichkeit hätten, wären die Schwierigkeiten des Dollars ohne Bedeutung. Wenn sie mangels Alternativen in der Klemme stecken würden, so wie sie nach dem Zusammenbruch von Bretton Woods in der Klemme steckten, dann wären die Zweifel an seinen Aussichten nichts weiter als eben Zweifel. Aber seit 1999 gibt es noch eine andere Währung, die das Potenzial hat, zu einem großen Rivalen zu werden, nämlich den Euro. Wie die jüngsten Ereignisse unterstreichen, ist die Eurozone zwar nicht problemfrei, aber das sind die Vereinigten Staaten auch nicht. Wenn der Euro mit gestärkten Institutionen aus seiner Krise hervorgeht, könnte er in der internationalen Sphäre immer noch eine ernsthafte Alternative zum Dollar darstellen.
    Diese Alternative ist nicht über Nacht aufgekommen. Die Schaffung des Euros war der Höhepunkt eines buchstäblich jahrhundertelangen Prozesses. Der böhmische König Georg von Podiebrad hatte im 15. Jahrhundert eine Föderation mit einheitlicher Währung zur Finanzierung einer europäischen Armee vorgeschlagen, die gegen die Türken kämpfen könnte. Napoleon brachte Argumente für eine einheitliche unter französischer Ägide ausgegebene Währung, um die
    Integration des Kontinents zu fördern. 105 (Frankreichs Zuversicht, sobald eine einheitliche Währung geschaffen würde, würde Frankreich sie unter Kontrolle bekommen, ist ein weiteres Dauerthema der europäischen Währungsgeschichte.) Unter dem Goldstandard, der bis 1914 galt, konnten die europäischen Währungen effektiv gegeneinander eingetauscht werden. 106 Der Erste Weltkrieg unterbrach zwar die Geltung des Goldstandards, aber er führte auch dazu, dass Richard Nikolaus Graf von Coudenhove-Kalergi die Paneuropa-Union gründete, die Unterstützung für eine europäische Föderation und eine europäische Währung erarbeiten wollte. In den 1950er- und 1960er-Jahren verfocht Jacques Rueff, der uns schon im dritten Kapitel begegnet ist, eine einheitliche europäische Währung mit Goldbindung als Alternative zum Dollar – die vermutlich wieder einmal unter französischer Leitung operieren würde.
    Der Zweite Weltkrieg als Dreh- und Angelpunkt der europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert hatte auf diesen Prozess tiefgreifende Auswirkungen. So gut wie alle Persönlichkeiten, die in den Verhandlungen, welche zur Währungsunion führten, eine führende Rolle spielten, hatten sich ihre Ansichten durch ihre Erfahrungen während des Krieges gebildet. In ihren Augen verhinderte die europäische Integration, dass wieder gleichermaßen tragische Ereignisse eintreten würden. Angesichts der wirtschaftlichen Wiederauferstehung der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er-Jahren betrachteten sie es als noch wichtiger, Deutschland fest in Europa einzubinden.
    Zwar beschränkte sich der Einbindungsmechanismus, der 1958 eingerichtet wurde – die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) – , ganz klar auf eine wirtschaftliche und politische Föderation, aber sie regte Gespräche über eine tiefere Integration und dann unweigerlich über eine einzige europäische Währung an. 107 Und gerade als die Erinnerung an jene früheren Ereignisse zu verblassen begann, erweckte sie die deutsche Wiedervereinigung wieder zum Leben. Ohne diese Geschichte kann man sich unmöglich vorstellen, dass die Franzosen den folgenschweren Schritt unternommen hätten, den Franc – das Symbol ihrer Erhabenheit – aufzugeben, oder dass die Deutschen ihre geliebte D-Mark aufgegeben hätten.
    Diese Geschichte gemahnt uns auch daran, dass der Euro im Grunde ein politisches Projekt ist. Das ist auch seine Schwäche, denn das erklärt, wieso der Euro eingeführt wurde, bevor die ganzen wirtschaftlichen Voraussetzungen geschaffen waren, die für sein reibungsloses Funktionieren notwendig wären. Aber das ist auch seine Stärke, denn es erklärt, wieso sich die Mitgliedstaaten jetzt gezwungen sehen, sie vollständig einzuführen – und weshalb der Euro aus der Krise wahrscheinlich gestärkt hervorgehen wird.
    Jedoch ist es ebenso unvorstellbar, dass der Übergang zum Euro auf diese Art stattgefunden hätte, wenn nicht die durch den Dollar erzeugten Probleme gewesen wären. Immer wenn Zweifel am Dollar aufkamen und Mittel aus den Vereinigten Staaten herausflossen, strömten sie nicht gleichmäßig in alle europäischen Märkte.
    Vielmehr flossen sie hauptsächlich nach Deutschland, die Heimat von Europas gefürchtetster Währung.
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