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Der letzte Liebesdienst

Der letzte Liebesdienst

Titel: Der letzte Liebesdienst
Autoren: Laura Beck
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nach der Beerdigung mit zu uns kommen sollen.«
    Ebenso wie Chris hatten ihre Eltern versucht sie zu überreden, bei ihnen zu bleiben, sich zu erholen, zu versuchen, alles zu vergessen.
    Aber sie wollte nicht vergessen. Gerade das wollte sie eben nicht. Sie wollte die Erinnerung an Maja wachhalten, hier in der Wohnung waren immer noch ihre Dinge, ihre Kleider, ihr Geruch. Woanders hätte sie das nicht gehabt. In jeder Ecke hingen die Bilder, der Klang von Majas Stimme, ihr Lachen – ihr Weinen, wenn der Schmerz zu schlimm geworden war. Hier hatte Lara sie getröstet, sie in den Arm genommen und ihr Zittern gespürt, ihre Schwäche. Besonders in den letzten Wochen, als Maja nur noch ein Schatten ihrer selbst gewesen war, manchmal nicht einmal mehr aufstehen konnte.
    »Ich kann nicht, Mama.«
    »Und wenn ich zu dir komme? Eine Weile bei dir bleibe? Die Tiere müssen ja auch versorgt werden.«
    »Die sind bei Daniel und Chris. Du weißt, wie tierverrückt Daniel ist.« Es strengte Lara sehr an, mit ihrer Mutter zu sprechen, aber irgendwie war es auch tröstlich.
    »Ja, er ist ein lieber Junge.« Laras Mutter seufzte. »Ich könnte für dich kochen. Du isst bestimmt nichts. Du hast immer aufgehört zu essen, wenn es dir schlecht ging.«
    »Ich brauche nichts«, sagte Lara. »Ich habe keinen Hunger.«
    »Das ist ja gerade das Schlimme. Du merkst es gar nicht«, antwortete ihre Mutter. »Bis du wieder in Ohnmacht fällst.«
    » Ein Mal, Mama. Das war ein einziges Mal«, protestierte Lara matt.
    »Ein Mal zu viel.« Diesmal war Laras Mutter beharrlich. Sie hatte sich die ganze Zeit Vorwürfe gemacht, dass sie das letzte Mal zu schnell nachgegeben hatte. Sie hätte ihre Tochter mitnehmen sollen nach Hause, wo sie sie versorgen und im Auge behalten konnte. Schon nächtelang hatte sie kaum noch geschlafen, weil sie Lara telefonisch nicht erreichte. »Bitte, ich möchte für dich da sein. Du bist noch so jung. Niemand sollte so etwas Schlimmes erleben, wenn er noch so jung ist. Das ist nicht richtig.«
    »Das Schicksal hat wohl eine andere Vorstellung von richtig und falsch«, erwiderte Lara mit unterdrückter Stimme. Sie musste die Tränen zurückhalten. »Es hat mir Maja genommen, ohne danach zu fragen.«
    »Daran können wir nichts mehr ändern. So schrecklich es ist, aber wir müssen das Schicksal akzeptieren, selbst wenn es uns das Herz herausreißt.« Laras Mutter atmete tief durch. »Ich werde kommen«, sagte sie. »Du bist meine einzige Tochter. Für eine Weile war es so, als hätte ich zwei, und ich habe mich darüber gefreut, aber ich kann dich jetzt nicht alleinlassen. Dann wäre ich eine schlechte Mutter.«
    »Mama, ich –«
    »Nein.« Laras Mutter hatte sich entschieden. »Ich glaube, du bist jetzt nicht in der Verfassung, für dich selbst zu sorgen. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich dich in so einer Situation im Stich lassen würde. Ich habe schon viel zu lange gewartet. Ich komme noch heute Abend.« Die Entschlossenheit in ihrer Stimme wurde von weicher Zärtlichkeit abgelöst. »Ich liebe dich, mein Schatz. Ich weiß, es ist nur die Liebe einer Mutter und nicht die Liebe, nach der du dich jetzt sehnst, aber auch wenn ich Maja nicht ersetzen und nicht zurückholen kann, hoffe ich, dass du mich reinlässt und mir erlaubst, mich um dich zu kümmern.«
    Lara schluckte. Sie brachte keinen Ton heraus.
    »Sag ja, Liebes«, bat ihre Mutter leise. »Sag doch bitte ja.«
    »Ja.« Es war nur gehaucht und kaum zu verstehen, aber Lara fühlte sich wie erlöst, nachdem sie es gesagt hatte.
    Zu lange hatte sie sich dagegen gewehrt, die Schwache zu sein. Für Maja hatte sie immer stark sein müssen – und wollen. Nie hatte sie ihr gezeigt, wie sehr sie selbst litt, wenn sie Maja leiden sah. Die Sorge um Maja hatte all ihre eigenen Sorgen ausgelöscht. Sie sah nichts außer Maja, es gab nichts anderes als Maja, keine Bedürfnisse, die über die von Maja hinausgingen. Sie hatte nichts mehr gespürt als die allumfassende Liebe, die sie für Maja empfand. Ihre ganze Welt war Maja gewesen.
    Und dann war diese Welt zusammengebrochen in dem Augenblick, als Maja gestorben war, und zurück blieb nur Leere, keine Sorge mehr, keine Liebe mehr, gar nichts.
    »Ich bin schon unterwegs«, sagte ihre Mutter.

4
    F iona saß auf der Couch und las. Oder vielmehr: Sie versuchte zu lesen. Es fiel ihr immer noch schwer, sich auf irgendetwas zu konzentrieren.
    Heute war es drei Monate her, dass Anke . . . dass dieser Betrunkene,
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