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Der letzte Liebesdienst

Der letzte Liebesdienst

Titel: Der letzte Liebesdienst
Autoren: Laura Beck
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dieser Mörder Anke umgebracht hatte. An einem Mittwoch. Seither war jeder Mittwoch eine Qual.
    Und dann musste auch noch ausgerechnet mittwochs die Gruppe stattfinden.
    Sie atmete tief durch und schaute auf die Uhr. Gleich musste sie los. Jedes Mal fragte sie sich erneut, was für einen Sinn das Ganze haben sollte.
    Es wird dir besser gehen, wenn du mit anderen redest, die dasselbe erlitten haben wie du, hatten ihr alle gesagt. Es wird dir helfen, dich von deinem Schmerz abzulenken, deine Trauer zu verarbeiten. Das Leben geht weiter. Anke kommt nicht mehr zurück. Du musst dich auf die Lebenden konzentrieren und auf dich selbst.
    Fiona hatte den leisen Verdacht, dass alle, ihre Eltern, ihre Freundinnen und Freunde, jeder, mit dem sie gesprochen hatte, sie einfach nur loswerden wollten. Sie hatte alle angerufen, es jedem erzählt, nachdem der Schock sie getroffen hatte, hatte in ihrer Verzweiflung auf Unterstützung gehofft. Die hatte sie am Anfang auch bekommen, aber keiner von all diesen Menschen hatte Anke so geliebt wie Fiona. Und keiner konnte sie zurückbringen.
    Nach einer Weile hatte sie gespürt, dass es ihnen zu viel wurde, über Anke zu sprechen. Ihr tägliches Leben hatte nichts mit Anke zu tun, sie wollten das Thema abschließen und erwarteten, dass Fiona das auch tat.
    Aber Fiona konnte nicht. Sie dachte fast jede Minute an Anke, jeden Tag. Es war, als hätte Anke sie nie verlassen, als würde sie jeden Augenblick zur Tür hereinkommen. Immer wieder schaute sie auf, wenn sie ein Geräusch im Flur hörte, wenn jemand durchs Haus ging.
    Sie wusste, es war völlig irrational, gegen jede Vernunft und Erfahrung, aber sie hatte den Eindruck, Anke wäre gar nicht tot. Sie konnte einfach nicht tot sein.
    Auf der Beerdigung hatte sie am Grab gestanden und immer nur gedacht: Da liegt jemand anderer im Sarg. So ein Sarg, das wäre nichts für Anke, das hätte ihr überhaupt nicht gefallen. So eingeschlossen zu sein, sich nicht frei bewegen zu können.
    Anke war der freiheitsliebendste Mensch, den sie kannte. Sie ließ sich nichts vorschreiben, hatte ihren eigenen Kopf. Einen Sturkopf manchmal.
    Immer wenn sie daran dachte, schlich sich ein schmerzliches Lächeln in ihre Mundwinkel. Sie sah Anke vor sich, in einem Sommerkleid auf einer Sommerwiese, lachend, sich drehend, die langen Haare wehten im Wind, diese Löwenmähne, die sie kaum bändigen konnte.
    Wie gern hatte Fiona ihre Finger durch diese Mähne gleiten lassen, die weichen Wellen darumgewickelt. Es war immer wie ein Traum gewesen, als wären sie gemeinsam im Himmel.
    Und dann, an diesem Tag, an diesem unglückseligen Tag, war daraus die Hölle geworden.
    Ihr Blick fiel erneut auf die Uhr an der Wand. Es wurde Zeit, sie musste gehen. Die Gruppe war der einzige Ort, an dem sie noch über Anke sprechen konnte, an dem andere ihr zuhörten, wenn sie von Anke erzählte, und sich nicht genervt abwandten. Oh ja, sie versuchten zu verstecken, dass sie genervt waren, aber es war kaum zu übersehen. Es richtete sich wie eine Mauer vor Fiona auf. Und dann waren sie so schnell wie möglich verschwunden.
    Eine weiche Schnauze schob sich zwischen ihre Beine, treue braune Augen sahen sie mitfühlend an.
    Fiona lächelte leicht. »Nein, du nicht, mein Mädchen. Du lässt mich nicht im Stich. Und dir kann ich immer von ihr erzählen.« Sie streichelte sanft Lunas Kopf. »Wenn ich dich nicht hätte . . .«
    Die Labradorhündin neigte ihren Hals zur Seite, damit Fiona sie auch dort kraulen konnte.
    »Keine Zeit.« Fiona seufzte und stand auf. »Tut mir leid. Aber wir waren vorhin ja lange draußen. Das hat doch Spaß gemacht, oder?«
    Luna wedelte mit dem Schwanz und schaute Fiona erwartungsvoll an. Sie hatte das Wort draußen gehört. Gingen sie jetzt spazieren?
    »Du hast einfach mehr Energie als ich«, lachte Fiona. Luna war die einzige, die sie manchmal zum Lachen bringen konnte, kein Mensch konnte das mehr seit –
    Schnell drehte Fiona sich um, nahm ihre Jacke und verließ die Wohnung.
    »Fiona.« Simone, die Leiterin der Gruppe, nickte Fiona zur Begrüßung zu. »Schön, dass du da bist.«
    Simone war Therapeutin und hörte zu, half, die Trauer langsam zu verarbeiten. Alle konnten hier über ihre Gefühle sprechen. Niemand wandte sich ab oder war genervt oder sagte: »Mensch, reiß dich doch endlich mal zusammen! Du musst darüber hinwegkommen.« Alle hier wussten, dass das nicht so einfach war.
    Fiona begab sich zu ihrem Platz – es hatte sich so eingespielt,
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