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Der Leichenkeller

Der Leichenkeller

Titel: Der Leichenkeller
Autoren: Linda Fairstein
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einen externen Anruf handelte.
    Ich ging zum Aufzug, wo sich Mike und Mercer gerade angeregt darüber unterhielten, mit wie vielen Punkten Vorsprung die Yankees vor Boston die Saison beschließen würden. Der Sicherheitsbeamte in der Eingangshalle wünschte uns eine gute Nacht. »Vollmond, Ms. Cooper. Sehen Sie zu, dass Sie Chapman bei der erstbesten Gelegenheit loswerden.«
    Ich reckte den Daumen empor und stieg in Mercers Auto, das ein Stück weiter am Hogan Place geparkt war. Mike würde im Restaurant an der 64. Straße wieder zu uns stoßen.
    »Mercer, bevor du einsteigst, hol doch bitte die Bilder raus, ja?«
    Er nickte, öffnete den Kofferraum und reichte mir vier Fototaschen mit Schnappschüssen von dem Baby, das seine Frau Vickee und er im Frühjahr bekommen hatten. Während er losfuhr, schaltete ich die Innenbeleuchtung an und sah die Fotos durch.
    »Wahnsinn, wie sehr sich so Minimenschen in nur einem Monat verändern. Er ist irre gewachsen.«
    Mercer Wallace war zweiundvierzig, sechs Jahre älter als Mike und ich. Er gehörte zu der Hand voll Afroamerikaner, die den Aufstieg in die oberste Etage der Detective-Abteilung der New Yorker Polizei geschafft hatten. Seine Mutter war bei seiner Geburt gestorben, aufgezogen hatte ihn sein Vater Spencer in einer guten Gegend in Queens, wo er als Mechaniker bei Delta Airlines gearbeitet hatte.
    Mercers zweite Ehe war vor ein paar Jahren in die Brüche gegangen, als ihn seine Frau – Vickee Eaton, eine ihm ebenbürtige Polizeibeamtin, die er über alles geliebt hatte – verlassen hatte. Aber nachdem er bei einer Schießerei während einer Mordermittlung verwundet worden war, hatte sie ihm während der Genesung beigestanden – ein echter Glückstreffer für den ruhigen, charismatischen Mann. Sie hatten zum zweiten Mal geheiratet, und mit der Geburt von Logan Wallace war Mercer der Erste von uns drei Großstadtmusketieren, als die wir uns gerne sahen, der eine Familie gründete.
    Den Kopf an die Autoscheibe gelehnt und die Lichter über uns betrachtend, hörte ich auf der Fahrt über den East River Drive Mercer zu, wie er sein neues Leben schilderte. Schlaflose Nächte kannten wir alle. Aber Babyfläschchen, Füttern, Wegwerfwindeln und ein wunderbares neues Menschenleben, für das er und Vickee die volle Verantwortung hatten, war eine völlig andere Dimension.
    »Ich weiß, ich langweile dich zu Tode, Alex.«
    »Überhaupt nicht. Ich höre schrecklich gern von ihm. Ich bin wild entschlossen, seine Lieblingstante zu werden und ihn so zu verziehen, dass ihm Hören und Sehen vergeht«, sagte ich. »Aber falls du anfängst, Mike und mich zum Familienleben bekehren zu wollen, werde ich dich genauso rüde abfertigen wie die Telemarketer, die regelmäßig während des Abendessens anrufen.«
    Ich hörte zu, wie er mir von den Freuden des Vaterseins erzählte, und ließ meine Gedanken schweifen. Letzten Winter hatte ich den Versuch unternommen, meine Beziehung zu Jake zu festigen und mit ihm zusammenzuwohnen. Der Rückzieher meinerseits erfolgte ohne Bedauern darüber, dass damit auch die Entscheidung über Heiraten und Kinderkriegen aufgeschoben war.
    Ich hatte oft überlegt, warum ich mit meinem momentanen Singleleben so zufrieden war, da ich in meiner Kindheit und Jugend doch all die Vorzüge einer warmherzigen und liebevollen Familie genossen hatte. Meine Mutter Maude hatte meinen Vater während ihrer Ausbildung kennen gelernt. Trotz ihrer hervorragenden Qualitäten als Krankenschwester hatte sie ihre Fähigkeiten und ihre eigene Karriere der Sache unterstellt, die ihr am wichtigsten war: ihrer Ehe. Meine beiden älteren Brüder und ich waren in einem Haushalt großgeworden, in dem die Familie an erster Stelle stand – Eltern, Großeltern und Geschwister. Jetzt schien es, als ob die Unabhängigkeit, die man mir mit aller Macht eingepflanzt hatte, so fest verwurzelt war, dass ich mich in meiner eigenen Haut total wohl fühlte.
    »Was hörst du von deinen Eltern? Geht es ihnen gut?«, fragte Mercer.
    »Ja. Sie besuchen gerade meinen Bruder und seine Kinder im Westen.«
    Mein Vater Benjamin hatte sich vor Jahren von seiner Tätigkeit als Herzchirurg zurückgezogen. Die simple Plastikklappe, die er zusammen mit seinem Partner vor drei Jahrzehnten entwickelt hatte, wurde seitdem in fast jedem OP des Landes bei Herzklappenoperationen verwendet. Ich verdankte der Cooper-Hoffman-Klappe meinen Lebensstil; sie hatte mir eine hervorragende Ausbildung ermöglicht – einen
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