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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger
Autoren: Reinhard Stoeckel
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Königs, nachforschen sollte. Ein junger Mann, der heimlich danach tauchte, war bereits ertrunken. Da hatte der Kahuna die Höhle zum Tabu erklärt. Moana, sagte er, das Meer, aus dem alles kam, hat alles wieder zu sich genommen.
    Helder kratzte sich und ging schwimmen. Er schwamm seinen nächtlichen Gefährten, den Flöhen davon, und wie er so schwamm, entsann er sich seiner Tauchübungen für die Ostsee vor Baabe.
    So tauchte er.
    Die Welt hier unten ist farbiger als alle Hawaiihemdenzusammen, dachte Helder und geriet ein wenig in Euphorie. Und da, da drüben, ist das nicht tatsächlich der Eingang zu einer Höhle?
    Helder tauchte auf, prustete, schnaufte und winkte den drei Männern am Ufer. Ihm gegenüber lag der Felsen. Da drin also sollte das letzte Geheimnis seines Großvaters ruhen, der Grund für das Helder’sche Familienschweigen.
    Nein, jetzt würde er nicht einfach zum Ufer schwimmen, würde nicht ins Kanu steigen, ins Flugzeug, in den Zug, ins heimische Bett und dort ruhig schlafen können. Das dort unten nicht gesehen zu haben, würde ihn mehr jucken als eine ganze Armee von Flöhen. Außerdem, er dachte an Tante Erdmuthes Auftrag, die Grüne Wituland …
    Helder atmete tief ein, so tief, als wolle er den Himmel über Hawaii mit hinunternehmen, und tauchte.
     
    Zwischen den zwei wenig angenehmen Begegnungen der vergangenen Nacht lag der Bericht des Kahuna über Hans Kaspars letzte Jahre. Bis Mitte der sechziger Jahre hätte der auf Big Island gelebt, am Fuße des Vulkans. Abseits des Dorfes noch immer, doch dort oft und gern gesehen, zumal er zu besonderen Anlässen die Stimme Kalākauas erklingen ließ. Als Parkranger führte er Touristengruppen, die zunehmend aus aller Welt auf die Insel strömten, durch die Vulkanlandschaft. Aber immer wieder sei er auch allein unterwegs gewesen.
    Eines Tages sei ein
haole
aufgetaucht, ein Weißer. Ein Deutscher wie Hans Kaspar. Man hätte sie im Dorf zusammen gesehen. Doch sei der Fremde nicht lange geblieben.
    Wenige Wochen später sei Hans Kaspar von einem Ausflug auf den Mauna Kea nicht zurückgekehrt.
    Es kam das Gerücht auf, seit der Abreise des Fremden habe Hans Kaspar nicht länger seine magischen gelbenSchuhe getragen. Er hätte sie verschenkt, sagten die einen. Andere, der Besucher hätte sie gestohlen.
    Einige Zeit später begann der Staat Hawaii ohne viele Fragen eine große Sanddüne abtragen zu lassen, um dort einen Hotelkomplex zu errichten. Nach heftigen Protesten und Sitzblockaden der Dorfbewohner, die dort ihre toten Ahnen bestattet wussten, kam es zu Verhandlungen. Schließlich bot man, unter Vermittlung von Mrs. Crusoe, den Leuten an, auf die Verbotene Insel umzusiedeln.
    Man nahm alles mit, auch die Gebeine der Toten und die Stimme des Königs, einschließlich einer mit Harz versiegelten Kiste, die Hans Kaspars Hinterlassenschaften enthielt. Fürs Erste brachte man alles in einer Höhle unter.
    In jenen Wochen war der Hotspot unter dem hawaiischen Archipel besonders aktiv, im Meer südöstlich von Big Island begann sich ein neuer Vulkankegel aufwärtszuschieben. Gleichzeitig lösten starke seismische Aktivitäten eine Flutwelle aus.
    Diese Welle verschlang sowohl Malinowskis Rutas, die Insel Pilo, als auch die Höhle.
    Die Geologen sprachen von der Nordwestdrift der pazifischen Platte, damit verbundenen Einbrüchen in der Erdkruste und einem relativen Anstieg des Meeresspiegels. Letzterer war sowohl für Rutas als auch für den Höhleneingang absolut, beide tauchten nicht wieder auf.
    So wie Helder.

XXVII
    Etwas Helles, ein blendendes Licht.
    War es das, das Leben danach?
    Aber tanzender Staub in den Strahlen? Trotzdem, weiter:
    Ein Fenster voll Sonne. Davor: Gott, ein Chinese. Sitzt gelassen auf einem Hocker und hält eine dampfende Schale Tee in der Hand. Zu seiner Linken auf dem Boden etwas Dunkles, ja Finsteres: Der Eingang zur Hölle?
    Nein, eher eine Kiste. Oder etwa der Sarg des Auferstandenen?
    Zur Rechten des Chinesen sitzt einer im Sessel, einbeinig, springt jetzt auf, ruft: Er ist da, er ist da!
    Dann endlich, ein Engel. Dunkeläugig, schwarzhaarig, nicht blond, aber viel Weiß um den Kopf. Auch er – mit weiblicher Stimme – fast ein wenig tadelnd: Da sind Sie ja endlich.
    Ist das Dreitagefieber endlich vorbei, alles ausgestanden?
    Drei Tage? Dreißig, mein Freund, sagt der Chinese, dreißig Tage im Koma.
    Mo?
    So ist es. Ich bin es, wer sonst.
    Aber, denkt der wieder zum Leben Erwachte, wer bin
ich
? Ich war tot. Und jetzt lebe
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