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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger
Autoren: Reinhard Stoeckel
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verpackte Wachswalze, wie sie am Ende des 19. Jahrhunderts in Edison’schen Phonographen verwendet wurden. Der Traum des Alten war es, noch einmal die Stimme seines Königs, Kalākauas I., zu hören, der sich, wie der Alte behauptete, auf dieser Walze verewigt hatte.
    Es mochte sein, dass sich Hans Kaspar ein wenig herausgefordert sah, seinem Ruf als Wundertäter gerecht zu werden. Je länger er nach Wegen sann, die Walze zum Klingen zu bringen, desto heftiger erfassten ihn Neugier und Ehrgeiz. In einem alten Physiklehrbuch aus der Bibliothek des Pfarrers entdeckte er schließlich die detaillierte Abbildung eines Phonographen.
    Mit einer Kurbel, die ursprünglich zum Anwerfen eines Automotors diente, einem größeren Trichter, bisher zum Durchseihen von Ziegenmilch verwandt, und, neben anderen Kleinteilen, einem dünnen Metallstift aus des Pfarrers Regulator gelang es ihm, die ersten, noch undeutlichen Töne aus der Walze zu locken.
    Endlich, nach vielen Experimenten, erklang aus der Pfarrei, ein wenig blechern zwar und leise, doch klar verständlich die Stimme König Kalākauas über den schwarzen Lavastrand.
    Erstaunt vernahm Hans Kaspar den Namen Wolkenfuß. Da erinnerte er sich an jenen Tag im Frühsommer, als er vom Schoß der Mutter, von Carlas Schoß, herabglitt und durch ein großes Tor lief, durch das er den Vater hatte eintauchen sehen in einen Wald von dunklem Grün und hohen, aneinandergereihten Steinen. Zwischen Steinen und Kreuzen, zwischen mild lächelnden Engeln und den schmerzvollen Mienen dünner Männer, die an manchen der Kreuze hingen, da hindurch lief er und suchte den Vater. Und endlich stand er da, versunken vor einem der Steine. Später, als er von Carla wusste, es war das Grab seiner leiblichen Mutter, war er nochmals an diesen Ort gegangen und mit den Fingern den Buchstaben ihres Namens gefolgt: Margarita Wolkenfuß.
    Wolkenfuß. Grüßen Sie Frau Isabelle Wolkenfuß … sagte die blecherne Stimme. Anfangs verstand Hans Kaspar nicht und wandte sich rätselnd an den Wachswalzenbesitzer. Im Gespräch mit dem ehemaligen Kammerdiener König Kalākauas begriff er, was wir schon wissen: dass dieser Kalākaua mit einer Isabelle Wolkenfuß eine Affäre gehabt hatte. Dass daraus eine Tochter hervorgegangen war, Margarita. Dass diese Margarita später Tänzerin in einem Berliner Nachtlokal gewesen war und liiert mit Arno Brügg für kurze Zeit. Lang genug, dass sie, wobei sie starb, ein Kind gebar: Hans Kaspar genannt und später auch amtlich mit dem Vaternamen Brügg versehen.
    Hans Kaspar schwieg. Die Bilder seines Lebens zogen vorüber: nochmals der Vater an Margaritas Grab, das Kaninchenblut im Kinderzimmer, der Gefallene ohne Gesicht in Arabien, der Sturz des Vaters von der Brücke, Carla im Fieber, der tanzende Ahmad, Estragons Blut aufdem weißen Pullover, Siyakuus Lachen … die Schwanenweide und das Bahndammhaus, seine Frauen, die Kinder … der Pole im Schuppen … die Überfahrt auf der
Dunera
, Mo und das Lager, der Major, die Witwe und ein Kakaduschwarm im Weizenfeld, die Grubenbahn in der Phosphatmine, Keola, Malinowski, das Kanu, Siyakuus Gesicht … Nun, am Ende seiner merkwürdigen Reise, war er zu einem Anfang gelangt, hatte entdeckt, dass diese Fremde die Heimat eines seiner Vorfahren war.
    Er war, so Kalākauas alter Diener, der Erbe eines Königreichs. Leider seien ein paar Geschichten und eine Wachsmatrize alles, was von diesem Reich noch existiere. Und, so fügte der alte Diener an: die Würde.
    Da, so erzählten sich die Leute noch Jahre danach, wäre Moana, das Meer, in die Augen Hans Kaspars gestiegen und wäre, was in Polynesien noch nie eine Schande war, über seine Wangen zur Erde geströmt. Ein seit Jahren ausgetrockneter Bachlauf hinter der Hütte des Dieners hätte von diesem Tag an wieder Wasser geführt.
     
    Helder, was nun? Du, Enkel des Enkels eines polynesischen Königs? Werden sie dir jetzt eine Krone flechten, dich mit Blüten behängen, dir eine Kokosnuss als Reichsapfel in die Hand drücken?
    Nichts dergleichen. Im Gegenteil, der Häuptling, Ärger mit Mrs. Crusoe fürchtend, wollte Helder in ein Boot setzen und wegschicken. Doch der Kahuna trat eben hinzu und legte für Helder ein Wort ein.
    Also bekam Helder immerhin zu essen: wie üblich erdgebackenes Schwein, rohen Fisch, mariniert in einer undefinierbaren Tunke, und einen sehr kräftig (Helder fand: faulig) riechenden Brei. Er aß einige Happen Schweinefleisch und hielt sich ansonsten an das ihm
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