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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger
Autoren: Reinhard Stoeckel
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das stete und leise Heranrollen der flachen Meereswellen, der starke Duft aus weißen Blüten, alles wurde eins mit dem weichen Rhythmus des Tanzes, mit den sanften und gleichzeitig kraftvollen Bewegungen der Menschen, bewegt vom Atem eines Gottes, der sie doch selber waren. Ohne Zuschauer, ohne Gage, nicht mal Applaus. Niemand sah zu.
    Nur Helder, der stille Voyeur in seinem Versteck. Er war angerührt wie selten in seinem Leben. Und er schämte sich, als würde er hier etwas stehlen, was ihm nicht gebührte.
    Drüben im Dorf hatte Keola inzwischen den Häuptling gefunden, palavernd standen sie vor dessen Hütte. Ringsum war das dörfliche Leben erwacht. Eine dicke Matrone übte mit ein paar halbwüchsigen Mädchen den Hula. Ein paar Frauen saßen im Kreis und zogen Blüten, Muscheln und Federn auf Schnüre, zwischen ihnen krabbelnde, plappernde Kinder. Mehrere junge Burschen schleppten Körbe mit Taroknollen herbei. Ein Alter kommandierte eine ScharJungen, die Kokosnüsse von den Palmen holten. Unten am Strand wateten einige Mädchen auf der Jagd nach Tintenfischen durchs flache Wasser; gerade hatte eine von ihnen ein Prachtexemplar an den Fangarmen gepackt und hielt es triumphierend in die Luft, wobei das Tier seine Arme, gleichfalls besitzergreifend, um den Hals des Mädchens zu schlingen schien. Draußen in der Bucht standen ein paar Fischer in ihren Kanus und warfen die Netze aus. Friedlich, ja idyllisch, als habe Gott Lono selbst Regie geführt.
    Da spürte Helder plötzlich eine kräftige Hand auf der Schulter. Er fuhr herum und blickte erst in das finstere Gesicht eines Burschen, dann auf die Keule in dessen anderer Hand. Mehr als die kunstvollen Schnitzereien des Schlaginstruments interessierte Helder, ob es im nächsten Moment auf seinem Schädel landen würde.
    Doch der Bursche zog ihn lediglich aus den Büschen und führte ihn zur Hütte des Häuptlings. Helder hoffte auf Keolas Beredsamkeit, der sich dort inzwischen auf einer Matte niedergelassen hatte. Keola beschwichtigte den jungen Mann und machte sie einander bekannt. Der Bursche war Keolas Sohn, und Helder wurde von Keola als Kanaka Kïpuki bezeichnet.
    Schnell waren sie von neugierigen Dorfbewohnern umringt. Es war nicht so, dass sich die Eingeborenen wie zu Cooks Zeiten auf den Boden geworfen hätten, als sei Lono tatsächlich erschienen. Doch als Keola ihnen mitteilte, vor ihnen stünde niemand anders als der Nachfahre Hans Kaspar Brüggs, da hellten sich ihre Mienen deutlich auf. Ja, einige zeigten staunend auf Helders gelbe Erbschuhe, andere flüsterten anerkennend: Kanaka Kïpuki, was Keola übersetzte mit: Mann im Lavastrom.
     
    Während Malinowski auf Pilo seinen Forschungen nachgegangen war, hatte Keola auf der Verbotenen Insel eine Familie gegründet.
    Hans Kaspar aber hatte sich auf die Leidenschaft seiner frühen Jugend besonnen: Steine. Er hatte sich auf der Großen Insel am Fuß des Vulkans Kilauea niedergelassen, dort, wo sich immer wieder Lava ins Meer ergoss. So war er, wie Empedokles in Ahmads Erzählung, den Elementen ganz nah: Feuer, Wasser, Erde und Luft.
    Immer wieder wanderte er über die weiten Felder erkalteter Lava, die mal sanft sich wie ein zufällig verlorenes Tuch wellte, dann wieder in scharfkantigen Splittern das Land überzog, an den Bruchkanten mal schillernd wie ein Regenbogen, dann wieder braun vom oxidierten Eisen oder schwefelgelb.
    Ganze Tage verbrachte Hans Kaspar in den schwarzen Lavawüsten, sie schienen seinem Seelenzustand am ehesten zu entsprechen. Doch manchmal fühlte er mit den Fingern, wie Wind und Wasser das harte Gestein spröde machten, sah hier die ersten Farne als Boten des Lebens und stieß dort im dichten Dschungel auf von weißen Blüten überwucherte Lavastollen.
    Manchmal stand er am Rand des dampfenden Kraters, in der Nase den Schwefelgeruch, und beobachtete den weißschwänzigen Kratervogel. Wie ein Bote der Feuergöttin Pele stieg er in ein von weißen Wolken gesäumtes Blau, als suche er die Seele ihres Geliebten, den sie der Sage nach in einem Anfall leidenschaftlichen Zorns in schwarzen Stein verwandelt hatte.
    Eines Tages brach aus der östlichen Flanke des Vulkans ein Lavastrom, von dem die Mitarbeiter des Nationalparks kaum Notiz nahmen. Lediglich Hans Kaspar, der sich zu der Zeit um eine Anstellung bei der Parkverwaltung bemühte, war mehr oder weniger zufällig vor Ort.
    Anfangs glaubte er an eine Täuschung, dachte, dass ihm seine Sinne, angestiftet von Malinowskis
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