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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger
Autoren: Reinhard Stoeckel
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Polynesien erreichte, war Malinowski im wahrsten Sinn des Wortes so in seine Forschungen vergraben, dass die Welt ringsum für ihn nicht mehr existierte.
    Einige Jahre später verschwand Edvard Malinowski endgültig aus der Welt, er versank während einer Sturmflut samt seinem Urkontinent für immer im Meer. Es sollte fast sechs Jahrzehnte dauern, bis die Menehune wiederentdeckt wurden, diesmal Homo floresiensis getauft. Mehrere gut erhaltene Skelette auf der indonesischen Insel Flores sollten eine heftige Debatte über die Darwin’sche Evolutionstheorie auslösen.
    Noch aber konnte Malinowski sich wissenschaftlichen Ruhm erhoffen. So war er natürlich ungehalten darüber, erst durch die Behörden, dann von Keola, wegen der törichten Selbstanzeige Hans Kaspars, von seiner Arbeit abgehalten zu werden. Schließlich aber setzte er sich doch für den Mann ein, den er für den ehemaligen Liebhaber seiner verstorbenen Frau halten musste. Dies geschah auf eine sehr unakademische Weise.
    Zwei weißbemützte Militärpolizisten hatten Hans Kaspar – zu seinem Schutz, wie sie sagten – in Empfang genommen und verließen mit ihm gerade das Tor des Untersuchungsgefängnisses, da stürzte ein Krüppel direkt vor ihre Füße.
    Dass dies kein Zufall war, begriffen sie erst, als ein älterer vornehm aussehender Herr hinzusprang und den einen Polizisten über den stieß, der dem Einbeinigen gerade aufhelfen wollte. Der ältere Herr verlieh seiner Attacke mit einem knüppelähnlichen Instrument Nachdruck, das er aus seiner Aktentasche zog und seinem Opfer über den Schädel hieb.
    So war der Krüppel schneller wieder auf seinem einen Bein als auch nur einer der Polizisten auf seinen zweien. Behende sprang er in die offene Tür eines abfahrenden Wagens, in den der ältere Herr den Arrestanten Hans Kaspar eben gezogen hatte.
    Malinowski scherzte: Meine Mutter sagte immer, lass dich nie mit Polizisten ein. Dabei hielt er eines seiner archäologischen Fundstücke, die bei der Befreiungsaktion zerbrochene Nasenflöte, in die Höhe.
    Meine Mutter musste es wissen, ihr Mann war Kriminalbeamter und entleerte ihre Likörflaschen in den Ausguss, so regelmäßig, wie er sie in unserer Wohnung aufspürte. Zu ihrem Schutz, wie er sagte.

XXVI
    Helder, eben aus des Einbeinigen Kanu gesprungen, spürte sein Herz schneller schlagen und im Unterleib ein Grummeln. Unter den Sohlen der Großvaterschuhe knirschte der Sand der Verbotenen Insel. Irgendwo hier, hatte Keola angekündigt, ruhte der Nachlass Hans Kaspars.
    Lassen Sie uns bis zum Morgen warten, sagte Keola, ließ sich, wo er gerade stand, nieder, rollte sich zusammen und schlief auf der Stelle ein.
    Helder konnte und wollte nicht schlafen. Ein kühler Wind von See ließ ihn frösteln. Er zog die Beine an und umschlang sich selbst mit den Armen. Er dachte an Kapitän Cook und dessen gewaltsamen Tod.
    Ruhm würde ihm, Helder, wohl nicht beschieden sein, wenn er hier, am anderen Ende der Welt, das Familiengeheimnis der Helders entdeckte. Ruhm nicht, aber sicher auch nicht der Tod. Schlimmstenfalls eine Geldstrafe wegen unbefugten Betretens von Privatgelände, Hausfriedens-, oder besser, Inselfriedensbruch. Und wegen Bruch des Familienfriedens? Exkommunikation. Das saß tief in den Därmen: die kindliche Angst vorm Alleingelassensein.
     
    Keola, der einbeinige Wanderer zwischen den Welten, sprach mit dem Häuptling. Noch vor Sonnenaufgang hatte er Helder geweckt, seine Krücke genommen und sich auf den Weg ins Dorf gemacht.
    Helder war ihm ein Stück gefolgt und dann, von Keola angewiesen zu warten, auf einem Hügel hinter blühenden Hibiskusbüschen sitzen geblieben.
    Vom Dorf her näherte sich eine kleine Prozession, angeführt von einem Mann im gelben Gewand, mit einem großen Blatt um die Stirn gebunden. Am Strand angekommen, breitete er die Arme der aufgehenden Sonne entgegen und sang in der klangvollen hawaiischen Sprache:
Aloha e ka la, e ka la! E ola mai e ka la, i ka honua nei
– Ich grüße die Sonne, das Leben, die Erde. So zumindest sollte Keola später diesen rituellen Gruß des Kahuna übersetzen
    Das Lied des Vorsängers ging über in einen Gesang, den die Männer und Frauen, die ihn begleiteten, wie eine Antwort anstimmten. Fast unmerklich begannen sie, Füße und Hände in einem sanften Rhythmus zu bewegen, tänzerische Gesten, die den Gott Lono, so Keola später, um Frieden und Fruchtbarkeit baten, um das Mana, die Lebenskraft.
    Das Glitzern des Sonnenlichts auf dem Wasser,
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