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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger
Autoren: Reinhard Stoeckel
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drückte die Zigarette in den einsamen Blumentopf und löschte das Licht.
    Nachts gegen eins weckte ihn die Sirene eines Einsatzfahrzeugs. Am nächsten Morgen machte Helder einen Spaziergang zum Bahnhof, um sich, wegen diverser Bauarbeiten auf der Strecke, nach den aktuellen Abfahrtszeiten zu erkundigen. Der Imbisswagen am Bahnhofsvorplatz war völlig ausgebrannt. Ein paar Leute standen drum herum. Zwei Polizisten stiegen gerade aus einem Streifenwagen. Helder zog die Kapuze seiner Regenjacke über den Kopf und ging vorbei.
    Nein, kein Bedürfnis nach alten Bekannten.
    An der Eingangstür zur Schalterhalle dann doch einer: Ede, mit Halbglatze und Pferdeschwanz, noch immer das Bahnhofsfaktotum. Er putzte an der Gedenktafel für den ehemaligen Bahnhofsvorsteher Mendel herum.
    Ede war einmal Helders Mitschüler gewesen; für ein Jahr zwischen zweimal Sitzenbleiben. Hatte ständig von Mädchen geredet und von seiner Wunderquelle, die er noch finden würde mit der Wünschelrute: Wegen meiner Oma ihrem Rheumatismus. Und die weiß, da war mal eine, ganz früher, oben im Hügelwald. Und …
    Also jetzt bloß nicht anquatschen lassen von Ede, bloß schnell vorbei.
    Doch da ist es schon passiert.
    Ah, der Herr Reichsbahnoberamtmann Helder.
    Quatsch nicht, Ede. War ich nie, weiß du doch. Warn da los?, Helder zeigt auf die Imbissbude.
    KKB, sagt Ede und schlägt die Hacken zusammen, Kameradschaft Krahnsdorf-Brandt, Herr Reichsbahnoberinspektor. – War übrigens Rositas Bude. Kennste doch!?
    Ich? Ach so, die … Ist die mit dem Vietnamesen …?
    Na, das weeste nich? Musste doch wissen, war doch zu deiner Zeit!
    Du, ich muss …
    Nach Cottbus? Fünf nach halb zehn.
    Ja, nee, ich fahr erst morgen. Na dann: Putze, Mann, putze.
    Hier, Henri, guck! Ede hielt ihm ein handtellergroßes weißes Etwas unter die Nase: Das isn Wunderschwamm. Wenn se dir mal ansprühen, kannste dir reene rubbeln mit. Wenn’s nich so teuer wäre, würde ich sogar meinen Ford damit putzen.
    Helder verabschiedete sich von Ede und eilte mit eingezogenem Kopf unter der Kapuze an der Brandstelle vorbei. Aus den Augenwinkeln erkannte er Rosita. Er verhielt für einen Moment seinen Schritt und sah hinüber. Die kupferrote Lockenmähne schüttelnd, war sie offenbar noch immer nicht auf den Mund gefallen. Nur wieder einmal, wie es aussah, auf die Gusche. Sie stritt gerade lautstark mit einem der Polizisten.
    Nein, besser, er ging weiter.
    Zu Hause wirtschaftete der Vater auf dem Hof umher.
    Und, wen getroffen?, fragte er.
    Nöö, bloß Ede.
    Ja, ja, der ist Gold wert. Dumm, aber fleißig.
    Helder erbot sich, den alten Schuppen aufzuräumen.
    Nee, nee, sagte der Vater, mach ich lieber selber. Müsste sonst dabeistehen und gucken, dass du mir nichts wegschmeißt. Man hätte das Ding längst abreißen sollen.
    Hat sich da nicht im Krieg mal ein Pole drin versteckt?
    Wer sagt denn das? Tante Erdmuthe? Na klar,
die
. Man muss da nicht so ein Aufhebens von machen, als ob es was Besonderes wäre. Komm lieber mit in den Garten! Da stecken noch ’n paar Rüben für die Karnickel.
    Einmal, die Zippe hatte geworfen, erinnerte sich Helder, während er die Grabegabel in die nasse Erde stieß, da hatte er eins der Jungen Rosita in die Hand gedrückt. Sie hatte das zappelnde Tierchen gestreichelt, bis es sich ganz ruhig an ihre Brust schmiegte. Nur die kleine Nase bewegte sich schnuppernd.
    Streichel mich, ach streichel mich! Dieses Vierteljahr vor einem Vierteljahrhundert, wenn es nicht so dumm geendet hätte …
    Helder zog die Rüben heraus, griff in das welke Kraut, drehte es ab und warf es auf den Haufen.
    Als er sich später an den Mittagstisch setzte, hatte er die Begegnung auf dem Bahnhofsvorplatz schon vergessen. Nach dicken Rouladen und herzhaftem Rotkraut sprach man über Steuern und schimpfte vor dem Mittagsschläfchen noch ein wenig auf das Wetter und die Regierung.

III
    Zwei Tage später traf Helder zu Hause ein. Vor seiner Tür standen die Schuhe des Großvaters. Das Hotel hatte ihm die Scharteken, statt sie zu entsorgen, hinterhergeschickt.
    Eine Woche lang lagen sie im Flur herum und hinterließen dort den Eindruck einer gewissen Unordnung. Susanne, die sie, wenn nicht weggeworfen, längst im Schuhschrank verstaut hätte, war bereits nach Brüssel abgereist. Und Helder war entschlossen, die Schuhe der Mülltonne anzuvertrauen, zögerte diesen Augenblick aber aus ihm selbst unverständlichen Gründen hinaus.
    Ihm war, wenn er aus dem Büro kam und in seine
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