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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts
Autoren: Leah Cohn
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Steinway-Flügel.
    Ich erreichte das Mozarteum am Mirabellgarten – ein großes, würfelförmiges Gebäude, das Unterrichts- und Archivräume, Konzertsäle und Studios unter seinem Dach vereinte. In den schmucklosen Gängen des ersten Untergeschosses erwarteten mich die übliche Kakophonie aus unterschiedlichen Melodien, der staubige Geruch nach Noten und ein paar Studenten, die auf dem Weg zu ihren Übungsstunden miteinander tuschelten. Unauffällig huschte ich an ihnen vorbei. Ich kannte die meisten meiner Mitstudenten dem Namen nach, und mit einigen musizierte ich regelmäßig, aber es fiel mir schwer, echte Freunde zu finden. Zufällig hatte ich einmal aufgeschnappt, dass man mich »die Japanerin« nannte. Ich war so dumm gewesen, mich ernsthaft geschmeichelt zu fühlen, zumal ich mir diese überaus fleißigen und perfektionistischen Studentinnen aus Asien zum Vorbild nahm. Jan Meyer, ein angehender Klarinettist, klärte mich bei einer gemeinsamen Vorlesung in Musikgeschichte jedoch darüber auf, dass diese Bezeichnung alles andere als ein Kompliment war. Er hatte die letzten beiden Vorlesungen versäumt und gefragt, ob er meine Mitschrift kopieren dürfte. Als ich sie ihm nicht nur bereitwillig reichte, sondern ihm obendrein die wichtigsten Punkte erklären wollte, sah er mich verduzt an.
    »Du bist ja gar nicht so!«
    »Wie soll ich denn sein?«
    »Na, du weißt schon … wie die Japanerinnen.«
    Ich runzelte die Stirn. »Aber die gehören doch zu den besten Studenten!«
    »Ja eben!«, rief er. Als er meine wachsende Verwirrung bemerkte, prustete er los und erklärte mir unter heftigem Gelächter, dass ich als freudlose, altmodische, ziemlich schüchterne Streberin galt.
    Ich war tief gekränkt, aber versuchte es mir nicht anmerken zu lassen, sondern bemühte mich zu kichern, was in meinen Ohren genau so verkrampft klang wie Jans. Er legte gutmütig seine Hand auf meine Schulter. »Sei doch nicht beleidigt«, meinte er, worauf ich – halb verlegen, halb wütend – zurückzuckte und rasch erklärte: »Ich bin nicht beleidigt!«
    Er lachte wieder, während mein Gesicht hochrot anlief und ich schließlich aufgebracht zischte: »Habt ihr alle nichts Besseres zu tun, als euch über mich lustig zu machen?«
    Bevor er sehen konnte, dass mir die Tränen in die Augen traten, senkte ich rasch meinen Blick.
    Solche Episoden trugen weder dazu bei, mich bei anderen beliebt zu machen noch selber kontaktfreudiger zu werden. Seit langem wurde ich nicht mehr auf einen Kaffee oder zu einem der vielen Studentenfeste eingeladen. Umso unerwarteter war es darum, als sich heute plötzlich jemand aus der Menge löste und meinen Namen rief. Erst nach mehrmaligem Rufen merkte ich, dass tatsächlich ich gemeint war, und drehte mich zögerlich um.
    »Sophie! Sophie, bleib doch stehen!«
    Hanne Lechner kam auf mich zugelaufen. Sie war angehende Opernsängerin, von sich selber überaus eingenommen und so arrogant, als habe sie bereits mehrmals an der Met gesungen. Die gleichen Kommilitonen, die sich über mich als »Japanerin« lustig machten, zweifelten jedoch hinter ihrem Rücken daran, ob ihre Stimme auch hielt, was sie versprach. Zu mir war sie immer ausgesprochen freundlich, was wohl damit zu tun hatte, dass ich keine Sängerin, somit auch keine Konkurrentin war. Ihre Größe – sie war weit über 1,80 – und ihre voluminöse Stimme schüchterten mich ein. In ihrer Gegenwart hatte ich ständig das Gefühl, meinen Bauch einziehen und meinen Kopf ducken zu müssen, weil es neben ihr kaum Platz gab.
    »Ich … ich muss üben … «
    »Das müssen wir alle«, gab sie zurück und verstellte mir unbeeindruckt den Weg. Vertraulich beugte sie sich vor und raunte mir ins Ohr: »Hast du schon gehört, dass Nathanael Grigori hier spielt?«
    Ihr Atem war heiß und roch nach den Pfefferminzbonbons, die sie ebenso demonstrativ lutschte wie sie sich ihre bunten Tücher um den Hals schlang. Damit pflegte sie ihre sensible Stimme, was sie bei jeder Gelegenheit – ob man es nun hören wollte oder nicht – ausführlich erklärte.
    Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte den Namen noch nie gehört.
    »Dich müsste es doch besonders interessieren«, fuhr Hanne fort, »spielst du nicht auch Cello?«
    Das hatte ich tatsächlich jahrelang getan, aber seitdem ich Klavier studierte – meine größte Leidenschaft – hatte ich fast keine Zeit mehr dafür. Allerdings mussten wir Studenten neben dem Einzelunterricht auch Ensemble-Unterricht nehmen – und bei
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