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Der kuerzeste Tag des Jahres

Der kuerzeste Tag des Jahres

Titel: Der kuerzeste Tag des Jahres
Autoren: Ursula Dubosarsky
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Pearl würde das nicht so sehen.
    Gut, so wie jeder Mensch wusste natürlich auch Samuel, dass zwischen Empfängnis und Geburt neun Monate liegen. Dennoch glaubte er fest daran, dass zwischen dem Tag von Theodoras dramatischem Rückflug nach Sydney und seinem eigenen Geburtstag ein Zusammenhang bestand. Dass er irgendwie Theodora sein Leben zu verdanken hätte und er sich ihr deshalb zugehöriger fühlen müsste, als es sonst zwischen Bruder und Schwester üblich ist.
    Denn auf den Tag genau ein Jahr später, am einundzwanzigsten Juni, dem kürzesten Tag des Jahres, brachte Hannah ihr eigenes Kind zur Welt, ihren Sohn Samuel. Ihn.
    Kapitel 3
    Samuel und Theodora
    Samuel und Theodora waren keine Zwillinge, aber sie sahen einander sehr ähnlich, denn sie kamen beide nach ihrem Vater Elkanah. Beide hatten sie kurzes blondes Haar, runde Wangen, und beide waren von kräftigem Körperbau. Sie kleideten sich sogar ähnlich. Theodora trug so gut wie nie Schmuck oder Make-up, und Samuel trug nie Fußballsocken oder malte mit dem Kugelschreiber Tattoos um irgendwelche Wehwehchen an seinem Körper. Er besaß auch keine dieser Armbanduhren mit dickem Lederband, die einem verschiedene Zeitzonen anzeigten.
    Obwohl sie sich ähnlich sahen, waren sie vom Wesen her völlig verschieden. Sicher, sagten die Leute, deshalb standen sie einander ja so nahe, deshalb kam es so gut wie nie zum Streit zwischen ihnen. Erwachsene hielten sie für ein bezauberndes Paar – Theodora unnachgiebig, standfest, diszipliniert; Samuel ängstlich, zögerlich, goldig.
    Theodora wusste, dass Pearl ihre Mutter war, nicht Hannah. Sie nannte Pearl › Mum ‹ und Hannah › Hannah ‹ . Und Theodora benutzte den Nachnamen ihrer Mutter, Danz, obwohl sie nicht bei ihr lebte.
    Theodoras Ablehnung durch Pearl war nur von kurzer Dauer gewesen. Gerade mal einen Monat nachdem Elkanah ihre Tochter wieder mitgenommen hatte, erklärte Pearl, sie fühle sich jetzt sehr viel besser und sei bereit, Theodora wieder aufzunehmen. Aber Theodora ging nicht zurück. Warum, blieb unklar. Manche Dinge, sosehr sich alle auch darüber einig sein mögen, ereignen sich zuletzt dann doch nicht.
    Zum einen hatte Pearl bereits Grace, Annie, Elizabeth und Bea. Zum anderen gab es da auch noch Pearls Vater, Rhody. Nachdem Elkanah Theodora zum zweiten Mal mitgenommen hatte, war Rhody bei Pearl eingezogen. Um ihr mit den Mädchen ein wenig zur Hand zu gehen, behauptete er, aber wie sich herausstellte, machte er selber mehr als eine Handvoll Arbeit. Er trank zu viel. Er war häufig schlecht gelaunt. Rhody sagte zu Pearl, Elkanah solle das Baby behalten. Rhody sagte, es seien bereits zu viele Frauen im Haus. Rhody sagte, Elkanah habe genug Schaden angerichtet, jetzt solle er auch die Konsequenzen tragen.
    Also wohnte Theodora, anstatt bei ihrer Mutter zu leben, bei Elkanah und Hannah und Samuel und verbrachte nur die Ferien mit Pearl, Rhody und ihren vier älteren Schwestern.
    Pearl hatte nicht wieder geheiratet. »Ich konnte einfach nicht«, war ihre wenig aussagekräftige Begründung, aber jeder wusste, dass sie dazu einiges mehr hätte sagen können. Sie denkt, dass sie nie wieder jemanden wie mich findet, vermutete Elkanah selbstzufrieden, während Pearl genau das befürchtete. Wenn Pearl ihren Freunden gegenüber Elkanah erwähnte, war er immer nur › der Vater meiner Kinder ‹ . Sie sagte nie › mein Ex-Mann ‹ oder gar, optimistischer, › mein erster Mann ‹ .
    Tatsächlich war Pearl nie wieder so wie früher auf Elkanah zugegangen, wenn er sie anlässlich eines seiner Auftritte besucht hatte. Nichts war mehr so, wie es einmal gewesen war. Elkanah hatte nie wieder das Gefühl, mit zwei Frauen verheiratet zu sein. Außerdem war da Rhody, der ihn, ein Glas Whisky in der Hand, aus Unheil verkündenden Raubvogelaugen beobachtete. Elkanah musste sich mit Hannah zufriedengeben, und zufrieden war er, sogar mehr als das. Er verehrte sie, er betete sie an, er liebte sie, wie er ihr wieder und wieder versicherte, und jedes Wort davon war wahr.
    Theodora und Samuel ähnelten Grace, Annie, Elizabeth und Bea kein bisschen, obwohl sie denselben Vater hatten. Hannah fragte sich, ob das daran liegen mochte, dass Grace, Annie, Elizabeth und Bea die meiste Zeit in einer anderen Stadt gelebt hatten, außerhalb von Elkanahs alles vereinnahmendem Einflussbereich. Rückblickend meinte sie, seine anderen Töchter hätten Elkanah viel ähnlicher gesehen, als sie noch klein waren und als Hannah Elkanah
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