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Der kuerzeste Tag des Jahres

Der kuerzeste Tag des Jahres

Titel: Der kuerzeste Tag des Jahres
Autoren: Ursula Dubosarsky
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ihrem durchsichtigen Bettchen liegen sah, neben Pearl, die weitaus weniger glücklich war, ihn zu sehen.
    »Ich brauche Hilfe«, sagte Pearl.
    »Natürlich brauchst du die«, murmelte Elkanah beruhigend. Er hatte ausschließlich Augen für Theodora. Elkanah vergötterte Babys, mit all jener Macht, die etwas Großes und Mächtiges für etwas Winziges und Schwaches aufbringen kann.
    »Ich meine es ernst«, sagte Pearl und schloss sehr langsam die Augen. Sie sah nicht aus, als ginge es ihr sonderlich gut. Theodoras Geburt war langwierig und sehr schmerzhaft gewesen.
    »Darf ich sie mal nehmen?«, fragte Elkanah und hob Theodora mit seinen riesigen Händen aus dem Bettchen. Er küsste Theodoras rotes Gesicht, die einzigen Quadratzentimeter Haut, die nicht fest in eine Decke gewickelt waren.
    Später an diesem Abend rief er Hannah an. »Wie geht es dir, Liebling?«, fragte er und rief sich in Erinnerung, dass auch Hannah Gefühle hatte und wie unglücklich sie heute Morgen bei seiner Abreise gewesen war.
    »Und?«, blaffte Hannah. »Wie ist es?«
    »Ach, Liebling, sie ist wunderschön, einfach das wunderschönste kleine Baby«, posaunte Elkanah dankbar heraus. Hannah war so lieb. »Oh, sie ist einfach nur wundervoll – du solltest sie sehen, dieses süße kleine Ding. Du solltest sie mal sehen!«
    »Wie geht es Pearl?«, fragte Hannah knapp.
    »Tja, also, ganz gut«, antwortete Elkanah und rief sich das blasse, zerfurchte Gesicht und die Unterhaltung, die sie geführt hatten, in Erinnerung. »Du weißt schon.«
    »Ich sollte sie anrufen«, sagte Hannah, »und ihr gratulieren.«
    Hannah und Pearl waren, verständlicherweise, nicht unbedingt engste Freundinnen, aber sie kamen besser miteinander klar, als man vielleicht vermutet hätte. Manche Frauen, die denselben Mann teilen, entzweien sich darüber, und andere schließen sich gegen ihn zusammen.
    »Das wäre lieb von dir«, sagte Elkanah leicht beunruhigt. »Vielleicht morgen?«
    An diesem Abend, nach seinem Auftritt, führte Elkanah seine vier älteren Töchter zum Essen aus, um ihre neue Schwester zu feiern. Es war nach dreiundzwanzig Uhr, für Kinder reichlich spät am Abend, aber der einzige Mensch, der dagegen Einwände hätte erheben können, war Pearl, und die lag weggesperrt im Krankenhaus. Die Brasserie am Fluss hatte rund um die Uhr geöffnet, von einem Podest herunter spielte ein Trio lauten Jazz. Das machte eine richtige Unterhaltung zwar schwierig, kam aber Elkanah, der sowieso nie so recht wusste, worüber er mit seinen Töchtern reden sollte, ganz gelegen.
    Sie hießen Grace, Annie, Elizabeth und Bea – zehn, neun, sieben und sechs Jahre alt. Die schlafende Bea zu seinen Füßen, verschlang Elkanah ganze Tabletts voller Vorspeisen, während er die anderen liebevoll dabei beobachtete, wie sie im Restaurant herumtobten: kreischend, übereinanderfallend, schimpfend, kratzend und beißend und hin und wieder gegen die Möbel stoßend.
    Gelegentlich grüßten ihn Freunde oder Leute, die ihn aus der Oper kannten, und dann stand Elkanah auf, schluckte runter, was immer er gerade kaute, wischte sich in großartiger Geste mit einer riesigen weißen Serviette über den Mund, schüttelte Hände und erzählte allen von Theodora. Ein Mann mit fünf Töchtern, kam Elkanah nicht umhin zu bemerken, strahlte etwas Bedeutsames aus.
    »Das war dann wohl die letzte, schätze ich«, sagte ein Mann im Anzug, der an diesem Abend im Liebestrank gewesen war und Elkanahs übrige Kinder im Restaurant voller Zurückhaltung beobachtet hatte. Von Elkanahs Lebensumständen wusste er nichts.
    »Ach, na ja, wenn’s nach mir ginge!«, sagte Elkanah mit zum Himmel erhobenen Händen, als entzöge die Zeugung von Kindern sich seiner Einflussnahme und als hätte Pearl insgeheim jede einzelne Tochter wie ein Zitronensoufflé in der Küche zusammengekleppert und Muskatnuss darüber gerieben. »Aber meine neue Frau ist ganz wild auf ein eigenes Kind, wissen Sie.«
    Er betrachtete Hannah noch immer als seine neue Frau, obwohl sie jetzt schon fünf Jahre miteinander lebten, drei davon verheiratet. Elkanah verehrte und liebte Hannah aus der Tiefe seines Herzens, er betete sie an, aber leider war seine Zuneigung zu Pearl nie ganz erloschen. Er tröstete sich mit der Überzeugung, ein naturgegebener Bigamist zu sein; ein Gedanke allerdings, den er Hannah nie anvertraute.
    Hannah rief am nächsten Tag Pearl im Krankenhaus an.
    »Pearl? Bist du das?« Pearl klang so wahnsinnig weit entfernt, was sie ja
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