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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Autoren: Ralf Isau
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für sie Recherchen, schreibe auch schon mal einen Rohentwurf für eine Dissertation. Einige Doktoren in dieser Stadt haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, meine Elaborate zu überarbeiten. Sie haben ihren Titel trotzdem bekommen und halten sich jetzt für etwas Besseres.«
    »Und du findest das nicht irgendwie unmoralisch?«
    »Natürlich. Aber was soll ich tun? Es ist ja nicht so, dass ich im Vorhinein von den Täuschungen gewusst hätte. Im Gegenteil, nachdem ich von dem ersten Betrug Kenntnis erhielt, machte ich bei dem Schummeldoktor Rabatz. Aber es hat mir nichts genützt. Ich besaß nicht einmal eine Kopie meiner Arbeit und er drohte mir mit einer Verleumdungsklage. Inzwischen bin ich schlauer geworden, aber von irgendetwas leben muss ich ja schließlich auch. Und die Informationsbeschaffung ist ein einträgliches Geschäft! Also tue ich weiter, was ich gut kann: Nachforschungen anstellen und die Ergebnisse zu Papier bringen. Hin und wieder fertige ich auch Übersetzungen aus dem Französischen an oder veröffentliche Essays in kirchenfernen Zeitungen.«
    »Oh, dann sind wir ja sozusagen Kollegen!«
    Lorenzo lächelte schüchtern. Sich wieder seinem Skizzenblock zuwendend, erwiderte er: »So etwas zu behaupten, würde ich mir nie anmaßen.«
    David fiel erneut die Rolle des stillen Beobachters zu. Je länger er seinem Freund zusah, desto mehr wuchs sein Respekt vor ihm. Den scheinbar mit großer Leichtigkeit hingeworfenen Kohlezeichnungen haftete jene lässige Unvollkommenheit an, die gute Karikaturen auszeichnet. Unter Lorenzos schlanken Händen wurden aus wenigen Federstrichen Gesichter, jedes mit einem ganz eigenen Charakter.
    »Ist dir auch aufgefallen, wie sehr du einem der Logenbrüder Belials ähnelst?«, fragte er nach einer Weile.
    »Ja. In der Vision waren seine Haare allerdings nicht so weiß wie meine.«
    »Das könnte sich inzwischen geändert haben. Schau!« Lorenzo drehte den Block zu David hin.
    Die verblüffende Ähnlichkeit mit dem namenlosen Doppelgänger bereitete David Unbehagen. Um dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, sagte er: »Ich wusste gar nicht, dass du so etwas kannst.«
    »Bisher hatte ich auch nicht die Gelegenheit, damit vor dir zu glänzen, so wenig, wie wir uns gesehen haben. Gäbe es die vielen Briefe nicht, wären wir uns wahrscheinlich fremd geblieben.«
    David lächelte. »Schon seltsam, dass man sich einem Menschen, der weit entfernt ist, so nahe fühlen kann.«
    Lorenzos Finger verharrten über einer breiten Nase und er blickte von seinem Skizzenblock auf. »Mir ergeht es ebenso. Wenn wir jetzt aber nicht aufpassen, werden wir noch sentimental.«
    »Das stört mich nicht. Ich muss dich etwas fragen, Lorenzo: Würdest du mit mir kommen?«
    Der einstige Mönch zögerte. Mit der Zeichenkohle zog er ein paar neue Linien, dann sah er dem Freund direkt in die Augen. »Ich glaube nicht.«
    David schluckte, fühlte sich verletzt. Er zwang seinen aufkeimenden Unmut nieder und fragte: »Darf ich auch den Grund dafür erfahren?«
    »Es hat nichts mit dir zu tun, mein Lieber. Aber ich habe endlich meinen Lebenszweck gefunden: Ich möchte Gott dienen. Nicht, wie ein Papst es vorschreibt, sondern wie der Allmächtige selbst es wünscht.«
    »Ich bin kein Papst, Lorenzo, und du wirst nie ein Heiliger sein.«
    »Was soll das, David? Fast könnte man meinen, du missgönnst mir meinen Glauben.«
    David schloss die Augen. Als er seinen Freund wieder ansah, sagte er sanft: »Entschuldige. Vermutlich hast du sogar Recht. Es fällt mir nicht leicht, deine Zurückweisung hinzunehmen, jetzt da ich…« Er schüttelte traurig den Kopf.
    »Da du dich endlich überwunden hast, jemanden um Hilfe zu bitten?«
    David nickte müde. »Ein Freund nannte mich vor Jahren einen einsamen weißen Wolf. Ja, ich bin ein Einzelgänger, das hat er schon ganz richtig erkannt. Mir fällt es unendlich schwer, jemanden nahe an meine Gefühle heranzulassen, weil ich ihn dann schon als Belials nächstes Opfer sehe. Nachdem der Schattenlord mir Rebekka genommen hat, bist du der erste Mensch, dem ich mein ganzes Herz öffne, Lorenzo. Ich brauche dich! Du hast ja selbst gerade noch deine Fähigkeiten im Recherchieren erwähnt und… «
    »Ach, dann ist es also nur meine Spürnase, um die es dir geht?«
    »Warum quälst du mich so, Lorenzo?«
    »Weil ich möchte, mein Lieber, dass du den Panzer ganz aufsprengst, der deine Seele gefangen hält.«
    »Ich kann es vielleicht nicht so ausdrücken, weil ich in den
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