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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Autoren: Ralf Isau
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dir Averroes verraten?«
    »Komm, lass uns in den zentralen Kultraum zurückkehren. Ich erzähle es dir.«
    David konnte sich nur schwer von dem Symbol lösen, aber die sich entfernende Kerzenflamme des Freundes zog ihn mit sich. Er folgte ihr in den Raum mit dem Marmoraltar.
    »Es gibt Leute«, sagte Lorenzo mit leiser Stimme, »die glauben, bestimmten Orten wohnten mystische Kräfte inne.«
    »Ich bin nicht abergläubisch«, brummte David und zog gerade noch rechtzeitig den Kopf ein, um nicht gegen einen Türsturz zu rennen.
    »Immerhin hätte Moses sein Leben verloren, wenn er in Sandalen an den brennenden Dornbusch herangetreten wäre. Und Jesaja prophezeite, dass Babylon veröden und nur bocksgestaltige Dämonen es bevölkern würden. Demnach gibt es also sowohl heilige wie auch unheilige Orte auf unserer Welt.«
    »Und was soll mir das alles sagen?«
    »Averroes behauptet, die Bruderschaft vom Ende des Sonnenkreises habe eine besondere Schwäche für unheilige Orte, an denen die Kräfte des Bösen wirken.«
    David schluckte. »Jetzt verstehe ich. Du glaubst, das hier könnte einer davon sein.«
    »Mach dir keine Sorgen. Die Heilige Schrift verspricht jedem Rettung, der den Namen Gottes anruft. Ich denke, wir haben nichts zu befürchten.«
    »Vielen Dank für die aufmunternden Worte. Hätten wir unser Wiedersehen nicht trotzdem in einem etwas freundlicheren Rahmen begehen können?«
    »Nein. Und du wirst gleich erfahren, warum. Ibn Ruschd, wie Averroes eigentlich hieß, hat in seiner Schrift nämlich auf eine Verbindung zwischen alten persischen Kulten und der besagten Bruderschaft hingewiesen. Und irgendwann ist der Gedanke wie eine Leuchtrakete in meinem Hirn aufgestiegen: Unter San Clemente gibt es doch einen Mithrastempel; den sollte ich mir unbedingt einmal ansehen. Das habe ich dann auch getan.«
    »Und wann ist das gewesen?«
    »1941.«
    »Verstehe. Zu der Zeit war der Kontakt zwischen uns längst abgerissen. Wie geht’s jetzt weiter?«
    Sie standen wieder in dem Raum mit den langen Steinbänken und dem Marmorsockel in der Mitte. Lorenzo bückte sich nach dem Glas. »Jetzt kommt das hier an die Reihe.«
    »Das Weihwasser?«
    »Die Art des Wassers spielt keine Rolle. Hast du den Ring dabei?«
    »Was…? Du meinst Belials Fürstenring?«
    »Natürlich, welchen denn sonst? Kannst du ihn mir kurz leihen?«
    »Aber… Was hast du denn damit vor?«
    »Das lässt sich am leichtesten erklären, indem man es zeigt. Warte…« Lorenzo stellte das Glas auf den Marmorsockel. Daneben platzierte er den Kerzenständer. Er schob beides einige Male hin und her, beobachtete das Spiel des reflektierten Lichts an den Wänden und der Decke des Tunnelgewölbes. »Das Ganze ist ein Experiment. Die Anweisungen in Averroes Handschrift sind ein wenig wirr.« Er schloss für einen Moment die Augen, dann sprach er aus, was sich seinem Gedächtnis eingegraben hatte.
     
    »Nicht oft und auch nicht selten
    trifft sich die ewge Bruderschaft.
    Nicht gleißend hell und auch nicht dunkel
    darf dann das Licht der Tränen sein.
    Nicht Sonne und nicht Stern
    aus Schatten die Verwandlung schafft.
    Aus Bildern früh’rer Zeit
    den Meister weckt im Feuerschein.«
     
    Davids Nackenhaare stellten sich auf, »Du willst doch nicht etwa den Schattenlord herbeirufen, Lorenzo?«
    »Wir werden ihm keine Gelegenheit geben, hier aufzukreuzen.«
    »Und was soll dann dieses… Experiment?«
    »Mich interessieren die ›Bilder früh’rer Zeit‹. In den Versen wird ja von einer Verwandlung der Schatten gesprochen – Metamorphosen geschehen nicht mit einem Plopp. Es sind langsame Prozesse. Immer vorausgesetzt, Averroes wusste, worüber er schrieb.«
    »Du machst mir Spaß! Und wenn nicht? Ich fühle mich noch nicht dazu bereit, Belial gegenüberzutreten. Ihn zu rufen ist eine Sache, ihn zu besiegen eine ganz andere.«
    »Wir werden auf der Hut sein. Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir beide genau Acht geben und uns alles, was wir sehen, im Gedächtnis einprägen. Möglicherweise bekommen wir keine zweite Chance. Ich habe übrigens etwas mitgebracht.« Lorenzo griff in seine Gesäßtasche und zog einen längs gefalteten Skizzenblock hervor.
    »Du willst mitschreiben. Sehr vorausschauend!«, spöttelte David.
    »Falsch. Averroes spricht ja von Bildern. Ich werde mitzeichnen oder nachher aus dem Gedächtnis Skizzen anfertigen. Wir sollten uns dafür allerdings nicht allzu viel Zeit nehmen, nicht an diesem Ort. Und Fotografieren dürfte ja unmöglich
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