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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Autoren: Ralf Isau
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erinnerte. Ihre Stimme klang kalt und war gleichzeitig unheimlich zwingend. Der Schemen forderte von seinen Jüngern Gehorsam für einen nun schon jahrhundertealten Plan. Am liebsten hätte David dem Locken nachgegeben, wäre in die Illusion aus Licht eingetaucht, aber schon verblasste sie und die flirrende Wolke einer anderen Zeit tauchte vor ihm auf.
    Erneut erblickte er ein Gewölbe, aber diesmal war es größer als die künstliche Grotte im Mithrastempel. Über den Köpfen des Zwölferrats war ein Relief zu erkennen. Es zeigte einen Machthaber und vor ihm neun gefesselte Feinde oder Aufrührer. Oder waren es jene, denen er den Thron geraubt hatte? Über dem Haupt des Königs schwebte eine stilisierte Sonnenscheibe, das Symbol einer Gottheit. Aus den Augenwinkeln nahm David die schnell über das Papier fliegenden Finger seines Freundes wahr. Er selbst wäre in diesem Moment überhaupt nicht in der Lage gewesen, irgendwelche Skizzen oder Notizen anzufertigen. Dafür arbeiteten seine Gedanken umso fieberhafter. Die Bruderschaft vom Ende des Sonnenkreises … Kann uns der Usurpator auf diesem Hochrelief den Weg weisen?
    Die Bilder an der Wand vergingen in einer dunkel werdenden Wolke und ein neuer Trabant warf seine gespeicherten Erinnerungen an das Gewölbe des Mithräums. David und Lorenzo drehten sich und drehten sich, um die Szene nicht aus den Augen zu verlieren. Einmal mehr sah man das Innere einer bizarren Höhle mit von der Natur geschaffenen Säulen, Stegen und Vertiefungen – man glaubte sich in einen riesigen Totenschädel versetzt. Jetzt tagte der Kreis der Dämmerung an einem mächtigen Steintisch mit unregelmäßigen Rändern, selbst wahrscheinlich eine Laune der Natur. Belial dozierte über Pest und Pogrome, Inkagold und Inquisition.
    Überraschend zerplatzte die Vision und wich einer neuen. Unwillkürlich versteifte sich David. Ein Schauer lief über seinen Rücken. Es war, als blicke er aus den Augen seines ermordeten Vaters auf den düsteren Wappensaal hinab. Ja, dies musste The Weald House sein, Lord Belials Anwesen in Kent. Da saßen sie einmütig beieinander: Toyama, Papen, Rasputin, Ben Nedal, ein Dunkelhäutiger, der nur Kamboto sein konnte, ein großer Hagerer, in dem sich David beinahe selbst zu erkennen glaubte, und noch fünf andere waren dabei, die er nie zuvor gesehen hatte. Benommen deutete er auf die unbekannten Gesichter, damit Lorenzo sein Augenmerk besonders auf sie richtete. Zu viel mehr war er nicht in der Lage, einzelne Satzfetzen aus Belials flammender Ansprache schlugen ihn in Bann. Wie genau Vater alles aufgezeichnet hat! An der großen runden Tafel des Wappensaals diskutierten die zwölf über die letzte Phase der Verschwörung zur Vernichtung der Menschheit: den Jahrhundertplan. In Kürze würde das Feuer ausbrechen, Jeff in den Weald of Kent entfliehen, im Londoner Haus des Earl of Camden Unterschlupf und bald eine neue Familie finden, als Geoffrey Earl of Camden nach Japan gehen und schließlich dort der Vater von ihm, David, werden. Die Lichtblase begann zu verblassen…
    Eine furchtbare Ahnung stieg in dem Jahrhundertkind hoch. War das schon die Sekundenprophetie? Entsetzen packte ihn. »Schluss damit!«, stieß er hervor und fegte mit der Hand Glas und Kerze vom Altar.
    Schlagartig war es dunkel. Das Gefäß zerklirrte am Boden. David keuchte, wie erschöpft von dem eben Gesehenen, und kämpfte zugleich gegen ein Zittern an. Bildete er sich diesen kalten Luftzug nur ein?
    »Ich glaube, du hast dem Spuk keinen Moment zu spät ein Ende bereitet«, kam endlich Lorenzos Stimme aus der Dunkelheit.
    »Warum ist dir das nicht eingefallen?«
    »Ich weiß nicht. Irgendwie bin ich überhaupt nicht auf den Gedanken gekommen.«
    David hörte ein leises Klappern. »Vielleicht gehört das zum Ritual.«
    Ein Streichholz flammte auf und Lorenzos gerunzelte Stirn erschien in einer Kugel aus Licht. »Wie meinst du das?«
    »›Aus Bildern früherer Zeit den Meister weckt im Feuerscheins lautete nicht so der Spruch? Hätte übel für uns ausgehen können, wenn Belial plötzlich aufgetaucht wäre.«
    Endlich brannte die Kerze wieder. David hob die Kette mit dem Ring vom Boden auf und legte sie sich wieder um.
    Lorenzo stocherte gedankenverloren mit der Fußspitze in den Glasscherben herum. Nach einer Weile murmelte er: »Ich muss unbedingt noch meine Skizzen ausarbeiten, bevor die Gesichter in meiner Erinnerung verblassen.«
    Plötzlich versteifte sich David. »Lorenzo!«
    »Ja?«
    »Raus
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