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Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Rebecca Gablé
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schaudern. So weit war er noch nicht, erkannte er.
    Er umrundete Cheapside in einem weiten Bogen, denn er ahnte, dass man dort nach ihm suchte, kam über die Carter Lane zur Old Fish Street, und hier fand er endlich ein kleines Haus von Franziskanern, das den Besitzlosen die Pforte öffnete und wo jeder, der darum bat, eine Schale anständiger Suppe und ein Stück Brot bekam. Der alte Mönch, der Rupert die Schale in die gierig ausgestreckten Hände stellte, schenkte ihm gar ein mildes Lächeln und sagte: »Gott segne dich, mein Sohn. Und vergiss nicht, für Master Jonah Durham zu beten, dessen Mildtätigkeit du diese Mahlzeit verdankst.«
    Rupert fuhr zusammen und wollte dem Alten seine verfluchte Suppe ins Gesicht schütten. Aber er konnte nicht, er war zu hungrig. Also verzog er sich in einen schattigen Winkel des Hofs und heulte in seine Schale.
    Gedemütigt, aber gestärkt setzte er seinen Weg fort, schlenderte ziellos die breite Candlewick Street entlang, überquerte die Bridge Street und gelangte so nach East Cheap. Hier war es ein wenig ruhiger. Die Handwerker des Viertels hatten sich in den Schatten ihrer Werkstätten zurückgezogen, Hausfrauen, Mägdeund Botenjungen warteten mit ihren Besorgungen, bis die schlimmste Hitze des Spätsommertages vorüber war. Eine einzelne Gestalt überquerte vor ihm den kleinen Friedhof von St. Margaret, und als Rupert sie erkannte, fühlte er sich, als habe ihn der Blitz getroffen.
    Er blieb wie angewurzelt stehen, starrte ihr hinterher und fragte sich, ob sie wirklich war oder ob der Satan ihm nur eine Vision jener ersten großen Versuchung zeigte, der er vor Jahren erlegen war.
    Annot überquerte die Straße, bog in eine Gasse ein, und Rupert beeilte sich, ihr zu folgen. Er hielt ein gutes Stück Abstand, damit sie ihn ja nicht bemerkte, aber er riskierte nicht, sie aus den Augen zu verlieren. Als er sah, wie sie einen Schlüssel vom Gürtel nahm und die Tür des Hauses aufsperrte, in dem er die größten Sinnesfreuden erlebt und seine schlimmste Niederlage ihren Anfang genommen hatte, erkannte Rupert, dass alle Dinge sich zu einem großen Kreis zusammenfügten, der sich in diesem Augenblick schloss.
     
    Es war Nachmittag, noch viel zu früh für Kundschaft, aber natürlich ging Cupido trotzdem zur Tür, als es klopfte. Es kam immer mal wieder vor, dass ein ganz eiliger Gast mit einem ganz dringenden Bedürfnis zu ungewöhnlicher Stunde erschien.
    Doch als Cupido sah, wer auf der Schwelle stand, verschwand das höfliche Lächeln von seinem Gesicht. »Was zum Henker wollt Ihr hier?«, fragte er schroff.
    Rupert lächelte verschämt. »Ich … ich möchte zu Annot. Ich hab sie zufällig auf der Straße gesehen und …«
    Cupido schüttelte den Kopf. »Ihr kommt zu spät, Hillock. Sie ist die Dame des Hauses und hat es nicht mehr nötig, Kerlen wie Euch zu Diensten zu sein. Und selbst wenn. Runtergekommene Hungerleider wie Ihr sind hier nicht erwünscht.« Er wollte ihm die Tür vor der Nase zuschlagen, aber Rupert war schneller.
    Er warf sich mit der Schulter dagegen, und obwohl es eine schwere, massive Holztür war, flog sie weit auf und schleuderte Cupido nach hinten. Rupert machte einen großen Schritt auf ihnzu und packte den schmächtigen Hausdiener, ehe dieser das Gleichgewicht wiedererlangt hatte.
    Zu spät erkannte Cupido, dass er Rupert Hillocks Kräfte unterschätzt hatte. Vor allem hatte er nicht mit dem schweren Stein gerechnet, den der Eindringling hinter dem Rücken versteckt gehalten hatte und nun auf seine Schläfe niedersausen ließ. Verflucht, Annot, es tut mir Leid, war das Letzte, was Cupido dachte, ehe er in die Finsternis stürzte.
    Rupert beugte sich über die reglose Gestalt. Der immer noch so lächerlich hübsche Hänfling mit den blonden Engelslocken atmete sichtbar. Blut rann ihm über die Stirn, aber weder aus der Nase noch aus den Ohren. Offenbar hatte er ihn nicht richtig erwischt. Er überlegte einen Moment, ob er das mit einem zweiten Schlag nachholen sollte, entschied sich jedoch dagegen und schleifte den leblosen Körper hastig Richtung Halle.
    Rupert kannte sich gut in diesem Haus aus, und es hatte sich seit seinem letzten Besuch kaum verändert. Im Vorraum zur Halle stand immer noch die bunt bemalte Holztruhe, die die Tischwäsche enthielt. Er klappte sie auf und spähte hinein. Platz genug für den Hänfling. Er bugsierte den Besinnungslosen in die Truhe, die auf einmal eine makabre Ähnlichkeit mit einem Sarg hatte, und schloss den
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