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Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Rebecca Gablé
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sich die widerspenstigen Haare hinter das linke Ohr und sah sie fast verstohlen an. »Wie wär’s mit dem Thron der Königin der Diebe?«
    Ihr ging auf, wie nervös er war, und sie nahm seine Linke in beide Hände. »Da könnte ich beinah schwach werden, aber ich denke, lieber nicht.«
    Er seufzte tief. »Verdammt. Ich fürchte, das war alles, was ich zu bieten habe. Bis auf mich.«
    »Dich?«
    »Ja. Du weißt schon.« Die freie Hand wedelte ungeduldig. »Mit Haut und Haar. Mit Leib und Seele. Und Herz, natürlich. Alles. Mich eben.«
    Sie legte den Kopf schräg, sah ihm in die Augen und rang noch einen Moment mit sich. Dann seufzte sie. »Tja, wenn das so ist … meinetwegen.«

London, Oktober 1349
     
    S eid Ihr bereit, Mylord?«, fragte Sheriff Aldgate den Mayor feierlich. Nein, dachte Jonah, aber wenn wir darauf warten wollen, wird dieser Tag vorübergehen, ohne dass irgendwer nach Westminster zieht. Er schluckte trocken und nickte. »Ich bin bereit.«
    Sie traten aus der weit geöffneten Tür der Guildhall, und ein ohrenbetäubender Jubel brach los. Es war ein trüber Tag Ende Oktober, das Fest der Apostel Simon und Judas, und der Morgen war kalt und diesig, aber vom tristen Herbstgrau spürte man nichts, denn unzählige Menschen in farbenfrohen Kleidern drängten sich auf dem Vorplatz.
    Ein Diener in Livree des Lord Mayor hielt Hectors Steigbügel, und Jonah saß auf, angetan mit einem scharlachroten Gewand und einer schwarzen Samtkapuze, die auf der linken Schulter lag. Genauso waren die beiden Sheriffs und die Aldermen gekleidet. Sie alle trugen schwere Goldketten, und die des Mayor war natürlich die prachtvollste.
    Eine lange Prozession schlängelte sich vor ihm durch die Straßen, die Spitze des Zuges hatte West Cheap schon erreicht: zwei Reiter, die mächtige Standarten trugen, der eine das Wappen der Stadt, der zweite das der Tuchhändler, eben jener Gilde, die den neuen Mayor stellte. Ihnen folgten siebzig arme Männer, immer zwei nebeneinander. Man hatte sie auf Kosten der Stadt mit neuen blauen Gewändern und roten Kappen ausgestattet, und sie hielten runde Holztafeln, die die Wappen aller Mayor zeigten, welche die Tuchhändler je hervorgebracht hatten. Dann kamen zwei Bannerträger, der eine mit dem Banner des Königs, der andere mit dem des Hauses Durham. Hinter ihnen marschierten sechzehn Trompeter, danach zwei Dutzend Bedienstete des Mayor in Samtmänteln und mit weißen Stäben ausgestattet, die den Weg frei machten und hier und da eine kleine Schriftrolle von jemandem aus der Menge am Straßenrand entgegennahmen. Es war eine alte Tradition, dass die Londoner ihre Petitionen auf diesem Wege vor den neuen Mayor brachten, denn die feierliche Prozession durch die Straßen der Stadt war ursprünglich nur zu diesem Zweck eingeführt worden. Ihnen folgten wiederum sechzehn Trompeter, dann die Ehrengarde des Mayor – junge Männer seiner Gilde, die das Privileg hatten, ihm zu offiziellen Anlässen aufwarten zu dürfen –, dann die Offiziere der Sheriffs und der Stadtwache und schließlich die Gilden und die Zünfte. Sie bildeten den längsten wie auch den prächtigsten Abschnitt des Zuges. Unter ihren stolzenWappen und in ihren altehrwürdigen Trachten ritten oder marschierten sie in einer strikt festgelegten Reihenfolge, die durch Größe, Einfluss und Wichtigkeit der jeweiligen Gemeinschaft bestimmt wurde. Nur das letzte Glied in dieser Kette war nicht jedes Jahr das gleiche, denn den Abschluss bildete immer die Zunft oder Gilde des neuen Mayor. So waren es dieses Jahr wieder einmal die Tuchhändler, die diesen Ehrenplatz innehatten. Dann endlich folgte der Mayor selbst mit seinem unmittelbaren Gefolge: die Leibgarde und direkt vor ihm sein Schwertträger, der die mächtige Waffe entblößt und stolz aufgerichtet vor sich hielt, die edelsteinbesetzte Scheide an der Seite.
    Eigentlich hätte sein Vorgänger an Jonahs Seite reiten sollen, doch in diesem Jahr lagen die Dinge ein wenig anders. John Lovekyn war nach Frankreich geflüchtet, und Jonah ritt allein. Das war ihm äußerst recht. Seine Gefühle befanden sich in Aufruhr, und er war froh, dass niemand sein Gesicht aus nächster Nähe studieren konnte. Die Sheriffs, die ihn mit ihren weißen Amtsstäben in der Hand flankierten, hielten so viel Abstand, wie die Breite der Straße zuließ. Und die übrigen Aldermen folgten ihm und bildeten den Abschluss der Parade.
    Sosehr Jonah die Augen auch anstrengte, gelang es ihm doch nicht, die Spitze des
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