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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot
Autoren: T.H. White
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täglich mit
Cully gearbeitet hatte, um ihm sein Handwerk beizubringen, und daß seine Arbeit
dem Kampf Jakobs mit dem Engel geglichen hatte. Wenn Cully verloren war, würde
auch ein Teil von Hob verloren sein. Er wagte nicht, an den vorwurfsvollen
Blick zu denken, mit dem ihn der Falkner ansehen würde – nach allem, was er sie
gelehrt hatte.
    Was sollte er tun? Am besten blieb er still sitzen
und ließ den Köder auf der Erde liegen, damit Cully sich die Sache überlegen
und herunterkommen konnte. Dazu aber verspürte Cully nicht die geringste
Neigung. Am Abend zuvor hatte er eine reichliche Mahlzeit bekommen, so daß er
nicht hungrig war. Der heiße Tag hatte ihn in üble Laune versetzt. Das Wedeln
und Pfeifen der Jungen unten und die Verfolgung von Baum zu Baum – das alles
hatte ihn, der ohnehin nicht allzu intelligent war, ziemlich durcheinandergebracht.
Jetzt wußte er nicht recht, was er tun sollte. Auf keinen Fall das, was die
anderen wollten. Vielleicht wäre es nett, irgend etwas zu töten. Aus Trotz.
    Etliche Zeit später befand Wart sich am Rande des
richtigen Waldes, und Cully war drin. Jagend und fliehend waren sie ihm immer
näher gekommen – so weit vom Schloß entfernt, wie der Junge noch nie gewesen
war – , und nun hatten sie ihn tatsächlich erreicht.
    Heutzutage würde Wart vor einem englischen Wald
keine Angst haben, doch der große Dschungel von Old England war etwas anderes.
Hier gab es riesige Wildschweine, die um diese Jahreszeit mit ihren Hauern den
Boden aufbrachen, und hinter jedem Baum konnte einer der letzten Wölfe mit
blassen Augen und geifernden Lefzen lauern. Aber die wilden und bösen Tiere
waren nicht die einzigen Bewohner dieser unheimlichen Düsternis. Auch böse
Menschen suchten hier Zuflucht, Geächtete, die ebenso verschlagen und
blutrünstig waren wie die Aaskrähen – und ebenso verfolgt. Besonders dachte
Wart an einen Mann namens Wat, mit dessen Namen die Dörfler ihre Kinder zu
ängstigen pflegten. Er hatte einst in Sir Ectors Dorf gelebt, und Wart
erinnerte sich seiner. Er schielte, hatte keine Nase und war nicht recht bei
Trost. Die Kinder warfen mit Steinen nach ihm. Eines Tages setzte er sich zur
Wehr, packte ein Kind, machte ein schnarrendes Geräusch und biß ihm tatsächlich
die Nase ab. Dann lief er in den Wald. Jetzt warfen sie mit Steinen nach dem
Kind ohne Nase, aber von Wat hieß es, daß er sich noch immer im Wald aufhielt, auf
allen Vieren lief und in Felle gekleidet war.
    Auch Zauberer befanden sich in jenen legendären Tagen
im Wald, dazu seltsame Tiere, von denen die modernen naturgeschichtlichen
Werke nichts wissen. Es gab reguläre Banden von geächteten Saxen, die – im Gegensatz
zu Wat – zusammenlebten und Grün trugen und mit Pfeilen schössen, welche
niemals fehlgingen. Sogar Drachen gab es noch; es waren kleine, die unter
Steinen hausten und zischen konnten wie ein Kessel.
    Hinzu kam der Umstand, daß es dunkel wurde. Im Wald
war weder Weg noch Steg, und niemand im Dorf wußte, was auf der anderen Seite
war. Das abendliche Schweigen senkte sich hernieder, und die hohen Bäume
standen lautlos da und blickten auf Wart herab.
    Er hatte das Gefühl, es sei das beste, jetzt nach Hause
zu gehen, solange er noch wußte, wo er war – aber er hatte ein tapferes Herz
und wollte nicht klein beigeben. Eins war ihm klar: wenn Cully erst einmal eine
ganze Nacht in Freiheit geschlafen hatte, dann war er wieder wild und
unverbesserlich. Cully war kein Standvogel. Wenn der arme Wart ihn nur dazu
bringen könnte, auf einem bestimmten Baum zu bleiben, und wenn Hob nur mit
einer kleinen Laterne kommen wollte, dann könnten sie vielleicht noch auf den
Baum klettern und ihn einfangen, solange er schläfrig und vom Licht benebelt
war. Der Junge konnte ungefähr sehen, wo der Falke sich niedergelassen hatte,
etwa hundert Schritt im dichten Wald, da dort die heimkehrenden Saatkrähen
tobten.
    Er kennzeichnete einen der Bäume am Waldrand, in
der Hoffnung, dadurch leichter den Rückweg zu finden, und arbeitete sich dann
durchs Unterholz. An den Krähen hörte er, daß Cully sich sofort entfernte.
    Die Nacht brach herein, während der Junge sich
durchs Gestrüpp kämpfte. Verbissen ging er weiter und horchte angespannt.
Cullys Fluchtflüge wurden müder und kürzer, bis er endlich, ehe es gänzlich
dunkel war, in einem Baum über sich die gekrümmten Schultern vor dem Himmel
sehen konnte. Wart setzte sich unter den Baum, um den Vogel nicht beim
Einschlafen zu
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