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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot
Autoren: T.H. White
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stören, und Cully stand auf einem Bein und ignorierte seine
Gegenwart.
    Vielleicht, so sagte Wart bei sich, vielleicht kann
ich – auch wenn Hob nicht kommt, und ich weiß wirklich nicht, wie er mir in
dieser unwegsamen Waldgegend folgen soll –, vielleicht kann ich gegen Mitternacht
auf den Baum klettern und Cully herunterholen. Gegen Mitternacht müßte er schlafen.
Ich werde ihn sanft mit Namen nennen, so daß er denkt, es sei nur der gewohnte
Mensch, der ihn aufnimmt, während er unter der Haube steckt. Ich werd’ ganz
leise klettern müssen. Wenn ich ihn dann habe, muß ich den Heimweg finden. Die
Zugbrücke ist hoch. Aber vielleicht wartet jemand auf mich, denn Kay wird ihnen
erzählt haben, daß ich noch draußen bin. Welchen Weg bin ich bloß hergekommen?
Ich wollte, Kay wär’ nicht weggegangen.
    Er kauerte sich zwischen die Baumwurzeln und versuchte,
eine bequeme Stelle zu finden, wo ihm das harte Holz nicht zwischen die
Schulterblätter stach.
    Ich glaube, dachte er, der Weg ist hinter der
Fichte mit der stachligen Spitze. Ich hätte mir merken sollen, auf welcher
Seite von mir die Sonne untergegangen ist; wenn sie aufgeht, wäre ich auf
derselben Seite geblieben und hätte nach Hause gefunden. Bewegt sich dort
etwas, da unter der Fichte? Ach, hoffentlich begegne ich nicht dem alten wilden
Wat, damit der mir die Nase abbeißt! Zum Verrücktwerden: wie Cully da auf einem
Bein steht und so tut, als wäre überhaupt nichts.
    In diesem Augenblick ertönte ein Surren und ein
leichtes Klatschen, und Wart entdeckte, daß zwischen den Fingern seiner
rechten Hand ein Pfeil im Baumstamm steckte. Er riß seine Hand zurück, in der
Meinung, etwas habe ihn gestochen, ehe er merkte, daß es ein Pfeil war. Dann
ging alles langsam. Er hatte Zeit, recht genau festzustellen, was für ein
Pfeil es war und daß er drei Zoll tief in dem festen Holz steckte. Es war ein
schwarzer Pfeil mit gelben Ringen, einer Wespe ähnlich, und seine Hauptfeder
war gelb. Die beiden anderen waren schwarz. Es waren gefärbte Gänsefedern.
    Wart entdeckte, daß ihn die Gefahren des Waldes geängstigt
hatten, ehe dies geschehen war, daß er jetzt aber, da er drin war, keine Angst
mehr fühlte. Geschwind stand er auf – es kam ihm langsam vor – und ging hinter
den Baum. Ein zweiter Pfeil kam angeschwirrt, doch der grub sich bis zu den
Federn ins Gras und stand still, als hätte er sich nie bewegt.
    Auf der anderen Seite des Baumes fand er ein sechs
Fuß hohes Farngestrüpp. Das war eine ausgezeichnete Deckung, doch durch das
Rascheln verriet er sich. Er hörte einen neuen Pfeil durch die Farnwedel zischen
und eine Männerstimme fluchen, aber nicht sehr nahe. Dann hörte er den Mann,
oder was es war, durchs Farnkraut stöbern. Er mochte wohl keine Pfeile mehr
abschießen, weil sie kostbar waren und im Dickicht sicherlich verlorengingen.
Wart bewegte sich wie eine Schlange, wie ein Kaninchen, wie eine lautlose
Eule. Er war klein, und der Angreifer hatte keine Chance mehr. Fünf Minuten
später war er in Sicherheit.
    Der Mörder suchte nach seinen Pfeilen und trollte
sich brummelnd – aber Wart stellte fest, daß er zwar dem Bogenschützen
entkommen war, jedoch die Orientierung verloren hatte und seinen Habicht. Er
hatte keine Ahnung, wo er sich befand. Eine halbe Stunde blieb er unter dem
umgestürzten Baum liegen, unter den er sich verkrochen hatte, bis der Mann endgültig
verschwand und Warts Herz zu hämmern aufhörte. Es hatte wie wild zu klopfen
angefangen, sobald ihm bewußt wurde, daß er entkommen war.
    Ach, dachte er, jetzt hab’ ich mich vollends
verirrt, und nun bleibt mir wohl keine andere Wahl, als mir die Nase abbeißen
zu lassen – oder ich werde von so einem Wespen-Pfeil durchbohrt, oder ich
werde von einem zischenden Drachen gefressen oder von einem Wolf oder einem
wilden Eber oder einem Zauberer – falls Zauberer kleine Jungen fressen, was sie
ja wohl tun. Jetzt kann ich ruhig wünschen, ich wäre artig gewesen und hätte
die Gouvernante nicht geärgert, wenn sie mit ihrem Astro-Kram
durcheinanderkam, und hätte meinen guten Vormund Sir Ector mehr geliebt, wie
er’s verdient.
    Bei diesen trübsinnigen Gedanken, und besonders bei
der Erinnerung an den freundlichen Sir Ector mit seiner Heugabel und seiner
roten Nase, füllten sich die Augen des armen Wart mit Tränen, und in tiefer
Trostlosigkeit lag er unter dem Baum.
    Die letzten langen Abschiedsstrahlen der Sonne waren
längst verschwunden, und der Mond erhob sich in
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