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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot
Autoren: T.H. White
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eine gewisse Überlegenheit daraus ableitete. Auch war es anders, keinen
Vater und keine Mutter zu haben, und Kay hatte ihn gelehrt, daß jeder, der anders
war, im Unrecht sei. Niemand redete mit ihm darüber, doch wenn er allein war,
dachte er darüber nach und fühlte sich zurückgesetzt und elend. Er mochte es
nicht, daß dies Thema zur Sprache gebracht wurde. Da der andere Junge jedoch
stets darauf zu sprechen kam, sobald sich die Frage des Vorrangs ergab, hatte
er es sich angewöhnt, sofort klein beizugeben, ehe es überhaupt so weit kommen
konnte. Außerdem bewunderte er Kay; er selbst war der geborene »Zweite Mann«:
ein Heldenverehrer.
    »Also los«, rief Wart, und übermütig tollten sie zu
den Käfigen, wobei sie unterwegs Purzelbäume schlugen.
    Die Käfige
gehörten, neben den Ställen und Zwingern, zu den wichtigsten Teilen des
Schlosses. Sie lagen dem Söller gegenüber und waren nach Süden gerichtet. Die
Außenfenster mußten, aus Gründen der Sicherheit, klein sein, doch die Fenster,
die in den Burghof blickten, waren groß und sonnig. In die Fensteröffnungen
waren dicht nebeneinander vertikale Stäbe genagelt, jedoch keine horizontalen.
Glasscheiben gab es nicht; um aber die Beizvögel vor Zugluft zu schützen, war
Horn in den kleinen Fenstern. Am Ende der Käfigreihe befand sich eine kleine
Feuerstelle, ein gemütliches Eckchen, ähnlich dem Platz im Sattelraum, wo die
Stallknechte in feuchten Nächten nach der Fuchsjagd sitzen und die Geschirre
reinigen. Hier waren ein paar Hocker, ein Kessel, eine Bank mit allen möglichen
kleinen Messern und chirurgischen Instrumenten, sowie einige Regale mit Töpfen
darauf. Die Töpfe waren mit Etiketten versehen: Cardamum, Ginger, Barley
Sugar, Wrangle, For a Snurt, for the Craye, Vertigo etc. Häute hingen an
den Wänden, aus denen man Stücke für Jesses (Fußriemen), Hauben und Leinen
herausgeschnitten hatte. An Nägeln baumelten, ordentlich nebeneinander
aufgereiht, Schellen und Drehringe und silberne varvels , alle mit
eingraviertem »Ector«. Auf einem besonderen Bord, und zwar dem allerschönsten,
standen die Hauben: ganz alte rissige rufter hoods , lange vor Kays
Geburt gemacht, winzige Häubchen für die Merline, kleine Hauben für Terzel
(männliche Falken), wunderhübsche neue Hauben, die an langen Winter-Abenden zum
Zeitvertreib angefertigt worden waren. Alle Hauben, ausgenommen die rufters ,
trugen Sir Ectors Farben: weißes Leder mit rotem Fries an den Seiten und einem
blaugrauen Federbusch oben drauf, der aus den Nackenfedern von Reihern bestand.
Auf der Bank lag ein buntes Sammelsurium, wie man es in jeder Werkstatt findet:
Schnüre, Draht, Werkzeug, Metallgegenstände, Brot und Käse, an dem die Mäuse
sich gütlich getan hatten, eine Lederflasche, einige abgenutzte linke Stulphandschuhe,
Nägel, Fetzen von Sackleinwand, ein paar Köder und etliche ins Holz geritzte
Schriftzeichen und Kerben. Diese lauteten: Conays IIIIIII, Harn III, usw. Die
Rechtschreibung ließ zu wünschen übrig.
    Die gesamte
Länge des Raumes nahmen, von der Nachmittagssonne voll beschienen, die durch
Sichtblenden getrennten Sitzstangen ein, an welche die Vögel gebunden waren.
Da saßen zwei kleine Merline, Zwergfalken, die sich gerade erst vom Husten
erholt hatten; ein alter Peregrin – wie man den Wanderfalken zuweilen nennt –,
der in diesen bewaldeten Landstrichen von keinem großen Nutzen war, der
Vollständigkeit halber jedoch weiterhin gehalten wurde; ein Turmfalke, an dem
die Jungen die Anfangsgründe der Falknerei erlernt hatten; ein Sperber, den
Sir Ector entgegenkommenderweise für den Priester des Kirchspiels hielt – und
am äußersten Ende war, in einem eigenen Käfig, der Hühnerhabicht
Cully.
    Im Vogelstall herrschte peinliche Sauberkeit; auf
dem Boden lag Sägemehl, um den Kot aufzunehmen, und das Gewölle wurde jeden Tag
entfernt. Sir Ector besuchte die Käfige jeden Morgen um sieben Uhr, und die
beiden austringers vor der Tür standen stramm. Wenn sie vergessen
hatten, sich die Haare zu bürsten, bekamen sie Hausarrest. Um die Jungen
kümmerten sie sich nicht.
    Kay zog einen der linken Stulphandschuhe an und
lockte Cully von der Stange – Cully jedoch, dessen Gefieder glatt und
feindselig anlag, betrachtete ihn unverwandt mit einem bösen, blumengelben
Auge und weigerte sich zu kommen. Da nahm Kay ihn auf.
    »Meinst du, wir sollten ihn fliegen lassen?« fragte
Wart unschlüssig. »Mitten in der Mauser?«
    »Natürlich können wir ihn fliegen
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