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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot
Autoren: T.H. White
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ehrfurchtgebietender Majestät
über die silbernen Baumwipfel. Dann erst wagte er sich aus seinem Versteck
hervor, stand auf, strich sich die Ästchen vom Anzug und machte sich auf den
Weg. Er ging ohne Richtung, immer dort, wo es am leichtesten war, und vertraute
auf Gottes Beistand. Eine halbe Stunde vielleicht war er so durch den Wald
geirrt – und bisweilen ganz fröhlich, denn es war angenehm kühl und sehr hübsch
im Sommerwald bei Mondschein –, da stieß er auf das Schönste, was er in seinem
kurzen Leben bisher gesehen hatte.
    Eine Lichtung tauchte im Wald auf, eine ausgedehnte
Blöße mit vom Mond beschienenem Gras, und die weißen Strahlen fielen auf die
Bäume am gegenüberliegenden Waldrand. Es waren Birken, deren Stämme in
perlfarbenem Licht stets am schönsten sind, und inmitten der Birken rührte
sich etwas, kaum wahrnehmbar, und ein silbernes Klingen ertönte. Bis zu dem
Klingen waren nur die Birken da, doch gleich darauf stand dort ein Ritter in
voller Rüstung zwischen den stolzen Stämmen, still und stumm und überirdisch.
Er saß auf einem gewaltigen weißen Roß, das so reglos verharrte wie sein
Reiter, und in der rechten Hand hielt er eine lange glatte Turnierlanze; ihr
Schaft ruhte im Steigbügel, und sie ragte steil zwischen den Baumstämmen auf,
höher und höher, bis sie sich vom samtenen Himmel abhob. Alles war Mondschein,
alles Silber, unbeschreiblich schön.
    Wart wußte nicht, was tun. Er wußte nicht, ob es
geraten war, zu diesem Ritter hinzugehen; denn es gab derart viele
Schrecknisse im Wald, daß sich sogar der Ritter als Geist erweisen mochte.
Geisterhaft sah er aus, in der Tat, wie er dort verharrte und über die Grenzen
des Dunkels meditierte. Schließlich kam der Junge zu dem Schluß: auch wenn es
ein Geist war, war’s der Geist eines Ritters, und Ritter waren durch ihr
Gelübde verpflichtet, Menschen in Bedrängnis zu helfen.
    »Verzeihung«, sagte er, als er dicht unter der
geheimnisvollen Gestalt stand, »könntet Ihr mir wohl sagen, wie ich wieder zu
Sir Ectors Schloß komme?«
    Der Geist schreckte auf, so daß er fast vom Pferd
gefallen wäre, und ließ durch sein Visier ein gedämpftes Blaaah ertönen wie
ein Schaf.
    »Verzeihung«, fing Wart von neuem an – da
verschlug’s ihm die Sprache.
    Denn der Geist hob sein Visier und ließ zwei
riesengroße, wie zu Eis gefrorene Augen sehen; mit ängstlicher Stimme rief er
aus: »Was, was?« Dann nahm er seine Augen ab – eine Hornbrille, deren Gläser
sich im Innern des Helms beschlagen hatten – , versuchte, sie an der Mähne des Pferdes
abzuwischen, wodurch es nur noch schlimmer wurde, hob beide Hände über den
Kopf, um sie an seinem Federbusch abzuwischen, ließ die Lanze fallen, ließ die
Brille fallen und stieg vom Pferd, um sie zu suchen. Im Verlaufe dieser
Bemühungen klappte das Visier zu; er schob das Visier hinauf, bückte sich nach
der Brille, wieder klappte das Visier zu, er richtete sich auf und äußerte mit
kläglicher Stimme: »Ach, du meine Güte!«
    Wart fand die Brille, wischte sie ab und
überreichte sie dem Geist, der sie unverzüglich aufsetzte (das Visier klappte
sogleich zu) und sich mühsam daran machte, wieder sein Pferd zu besteigen. Als
er endlich oben war, streckte er seine Hand aus, und Wart reichte ihm die Lanze
hinauf. Dann, als alles seine Ordnung hatte, hob er mit der linken Hand das
Visier, hielt es hoch, blickte auf den Jungen nieder – eine Hand war immer noch
oben, wie bei einem verirrten Seemann, der nach Land Ausschau hält – und rief:
»Ah – ha! Wen haben wir denn hier, was?«
    »Bitte«, sagte Wart, »ich bin ein Junge, dessen Vormund
Sir Ector ist.«
    »Reizender Bursche«, sagte der Ritter. »Bin ihm nie
im Leben begegnet.«
    »Könnt ihr mir sagen, wie ich zu seinem Schloß komme?«
    »Keinen blassen Schimmer. Selber fremd hier inner
Gegend.«
    »Ich hab’ mich verirrt«, sagte Wart.
    »Sonderbare Geschichte. Bin seit siebzehn Jahren
verirrt. Bin König Pellinore«, fuhr der Ritter fort. »Hast vielleicht von mir
gehört, was?« Mit einem Plumps ging das Visier zu, wie als Echo auf das »was?«,
wurde jedoch sofort wieder geöffnet. »Siebzehn Jahre, kommenden Michaelis, und
immer auf Aventiure, auf Queste, auf der Hohen Suche nach dem Biest. Äußerst
langweilig. Äußerst.«
    »Kann ich mir vorstellen«, sagte Wart, der nie
etwas von König Pellinore oder einem Aventiuren-Biest gehört hatte, es jedoch
für angeraten hielt, etwas Unverfängliches zu erwidern.
    »Ist
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