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Der Knochenmann

Der Knochenmann

Titel: Der Knochenmann
Autoren: Wolf Haas
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einzutreten, weil sein rechter Fuß ist ja gesund gewesen, und du hast heute nicht jeden Tag die Gelegenheit zum Türeintreten.
    «Und wenn mich der Marko anzeigt?» sagt der Tecka.
    «Der Marko kann dich nicht anzeigen, weil er tot ist.»
    «Wer ist dann da drinnen?»
    «Das wirst du gleich sehen. Aber wenn du es nicht schnell tust, wird es auch ein Toter sein.»
    Das ist der Tag gewesen, an dem die Kindergartentante Edith um 4 Uhr 44 aus dem Schlaf aufgeschreckt ist. Obwohl sie normalerweise immer besonders gut geschlafen hat, wenn sie beim Palfinger übernachtet hat. Aber wie sie gesehen hat, daß lauter Vierer auf dem Radiowecker aufleuchten, hat sie gedacht: So viele Vierer, und wahrscheinlich träume ich es nur, daß vor dem Haus gerade eine Granate eingeschlagen hat.
    Aber es ist keine Granate gewesen, es ist nur der Fuß vom Franz Tecka gewesen, der mit einem einzigen Tritt die Holztür vom Marko-Bauernhof aufgesperrt hat.
    Dann nichts wie hinein in den Bauernhof, der Brenner voraus, der Tecka hinten nach, und dann, unter heftigem Protest, der Sanitäter Laireiter. Aber in der Stube ist kein Verletzter gewesen, im Schlafzimmer auch nicht, im Bad auch nicht, im ersten Stock oben auch nicht.
    «Das wird unangenehm werden», hat der Laireiter immer wieder gesagt, halb schadenfroh, halb ängstlich. «Unangenehm wird das werden. Da wirst du auf dein Keks lange warten können.»
    «Scheiß auf das Keks», sagt der Tecka, weil er hätte im Sommer seinen zweiten Stern auf die Uniform bekommen, aber es ist ihm jetzt egal gewesen. Weil das Eintreten der Tür ist ein Gefühl gewesen, das kann dir kein noch so schöner Uniformstern geben. Aber ein Laireiter wird so was nie verstehen.
    Und jetzt kommt auch noch der Brenner zum Tecka und sagt: «Ich finde den Schlüssel zur Kellertür nicht.»
    Im nächsten Augenblick hat der Tecka die Kellertür schon eingetreten gehabt.
    Und im Keller ist er dann gelegen. Bis auf die Knochen abgemagert ist der Jacky dagelegen und hat keinen Mucks gemacht. Der Tecka hat sich hinuntergebeugt und seinen Arm genommen. Der Daumen vom Tecka ist fast so dick wie der Unterarm vom Jacky gewesen. Es hätte den Brenner nicht gewundert, wenn es ein drittes Mal gekracht hätte, und der Arm vom Jacky wäre in der plumpen Rotkreuzler-Hand gebrochen.
    Aber da hat der Brenner dem Tecka unrecht getan. Weil sonst vielleicht ein Grobian, aber beim Pulsmessen ist er die Zärtlichkeit in Person gewesen. Und er hat jetzt ganz vorsichtig gefühlt, ob sich beim Jacky noch irgendwas rührt.
    Und dann hat es doch noch einmal gekracht. Und dann hat sich der Brenner gewundert, daß sich auch der Laireiter plötzlich wieder wichtig macht und auf den Bewußtlosen einredet.
    Aber der Brenner hat nicht begriffen, daß dieser Bewußtlose nicht der Jacky gewesen ist. Und wie hätte er es auch begreifen sollen. Schließlich ist er es ja selber gewesen, der dem Laireiter in den nächsten Minuten fast unter der Hand weggestorben wäre.
     

13
    Wie der Brenner aus der Bewußtlosigkeit erwacht ist, hat er geglaubt, es sind nur zwei Minuten vergangen. Und nicht zwei Wochen, in denen ihm sein Finger schon wieder ganz gut angewachsen ist. Aber kein Wunder, daß er geglaubt hat, er ist immer noch im Marko-Keller.
    «Zuerst rettest du mir das Leben, und dann läßt du mich da vor Langeweile sterben», meldet der Jacky von seinem Bett herüber, kaum daß der Brenner die Augen aufgemacht hat.
    Weil dem Jacky ist es schon wieder prächtig gegangen. Zwei Kilo haben sie ihm schon wieder hinaufgefüttert, alles Infusion natürlich, aber seit gestern hat er sogar schon wieder ein bißchen Kartoffelpüree zu sich nehmen können.
    Der Brenner hat versucht, etwas zu sagen, aber sein Mund hat sich noch ein bißchen fremd angefühlt, und er hat unwillkürlich an den Milovanovic denken müssen, wie sie dem die Silberplatte eingesetzt haben, nachdem ihm der Ortovic das Gesicht zertreten hat.
    Wie er den dicken Verband um seinen kleinen Finger gesehen hat, ist ihm alles wieder eingefallen, und die Erinnerung daran hätte ihn fast wieder ins Koma zurückgescheucht. Aber nichts da, schön dableiben, weil auf den Moment hat der Jacky schon tagelang gewartet: «Um deinen Finger brauchst du dir keine Sorgen machen. Da haben sie ja hier in Graz einen Spezialisten, den Dr. Schneider. Der würde dir sogar den Kopf wieder annähen, wenn es sein muß.»
    «Dann geht es dem Ortovic also auch wieder besser», ist das erste gewesen, was der Brenner nach mehr
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