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Der Knochenmann

Der Knochenmann

Titel: Der Knochenmann
Autoren: Wolf Haas
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täuschen. Weil ein Monat später ist der Jacky schon Herr Doktor gewesen, auf dem Standesamt promoviert, und der Brenner hat ihm den Trauzeugen machen müssen. Und es hat nicht lange gedauert, ist der Jacky schon einer der besten Gastgeber gewesen, den die Grazer Gesellschaft jemals gehabt hat, und immer sein Foto in den Klatschzeitungen gleich neben der Caroline von Monaco.
    Und paß auf, was ich dir sage: Da sollen die Leute ruhig reden, Kokain hin oder her, ich sage, es ist nicht nur das Kokain, was den Jacky so beliebt gemacht hat bei den besseren Grazern. Sondern letzten Endes ist es immer noch dem Jacky seine nette Art gewesen.
    Aber es ist etwas anderes, ob du heute einen aufgeweckten, leutseligen Menschen sympathisch findest oder ob du mit ihm wochenlang das Zimmer teilen mußt. Jetzt hat der Brenner den Tag seiner Spitalsentlassung schon richtig herbeigesehnt. Er ist froh gewesen, daß er endlich wieder allein schlafen kann. Und siehst du, darum sage ich immer, man soll sich nicht zu früh freuen.
    Wie er seine Sachen zusammengepackt hat, ist ihm die Wiener Telefonnummer untergekommen, die ihm die Kellnerin aufgeschrieben hat. Die Nummer, von der er die ganze Zeit geglaubt hat, es ist die Nummer von der Jurasic Helene. Aber die hat ihm dann gesagt, daß sie gar nie beim Löschenkohl angerufen hat.
    Jetzt hat sich der Brenner gedacht, probiere ich es gleich noch vom Krankenzimmer aus, bevor ich gehe. Weil es hat ihn doch interessiert, wem seine Nummer das sein könnte. Aber er hat erst ein paar Ziffern gewählt, da ist schon das Störsignal gekommen., Zweiter Versuch, wieder Störsignal.
    «Ist sie nicht daheim?» hat der Jacky gleich von seinem Bett, herübergegrinst, weil der hat noch ein paar Tage länger bleiben müssen.
    «Falsche Nummer.»
    «Keine Nummer unter dieser Nummer», lacht der Jacky.
    Der Brenner hat sich nur gedacht, dem ist sein Erfolg bei der Chefärztin auch ein bißchen zu Kopf gestiegen. Aber ehrlich gesagt, ich kann es auch verstehen. Wenn du heute vom Sohn der Klofrau zum Zukünftigen von der Chefärztin aufsteigst, das mußt du erst einmal verdauen.
    Aber der Jacky hat jetzt nicht lockergelassen. Und siehst du, da ist es jetzt gut gewesen, daß ihm der Brenner jede Einzelheit erzählt gehabt hat. Sogar das mit der Telefonnummer, die ihm die Kellnerin beim Löschenkohl aufgeschrieben hat.
    «Zeig einmal her die Nummer», sagt der Jacky und greift gleich selber nach dem Zettel auf dem Nachttisch. «Hast du das geschrieben?»
    «Nein, die Kellnerin.»
    «Der Horvath?»
    «Genau.»
    «Da steht ja gar nicht die Vorwahl von Wien.»
    «Aber Wien steht dort.»
    «Nein, Wiener steht dort.»
    «Steht eben Wiener dort.»
    Der Brenner hat alles gepackt gehabt, und er hat sich jetzt auf den Weg machen wollen. So interessant ist die Nummer auch wieder nicht gewesen. Aber der Jacky hat jetzt unbedingt den Detektiv spielen müssen. Er hat etwas in seiner Nachttisch-Schublade gesucht, und dann hat er den zerknitterten Parte-Zettel von der Löschenkohl-Wirtin herausgezogen, den ihm seine Mutter mitgebracht hat.
    «Schau dir das einmal an», sagt der Jacky.
    Und während der Brenner liest «... geben wir in tiefer Trauer bekannt, daß Angelika Löschenkohl, geborene Wiener, überraschend gestorben ist», hat der Jacky schon den Telefonhörer genommen und die Nummer auf dem Zettel ohne Wiener Vorwahl gewählt.
    «Da ist jemand dran», sagt er und reicht ihm den Hörer hinüber.
    Wie der Brenner eine Viertelstunde später das Krankenhaus verlassen hat, ist die Schuhhändlerin am Parkplatz in der Sonne gestanden. Sie hat eine Sonnenbrille aufgehabt und ein halbes Kilo Lippenstift im Gesicht. Ihr Lächeln muß ihm gegolten haben, weil hinter ihm war keiner mehr.
    Und was soll ich sagen: Der alte Löschenkohl hat seit seinem sechzehnten Lebensjahr diese tragische Behinderung gehabt. Und der Brenner jetzt mitten am Parkplatz das gegenteilige Problem. Also peinlich bis dorthinaus. Und das in seinem Alter. Aber er hat nichts dagegen machen können. Nur seine Knie sind mit jedem Schritt weicher geworden. Aber sonst – der reinste Knochenmann.
     
     

Impressum
    Originalausgabe
Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg, Februar 1997
Copyright © 1997 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg
Redaktion Wolfram Hämmerling
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung Walter Hellmann
(Illustration Detlef Surrey)
Satz Garamond (Monotype)
bei Libro, Kriftel
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