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Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Titel: Der Kleine Mann und die Kleine Miss
Autoren: Erich Kästner
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hätten wir geschafft. Sie ist über den Berg.«
    »Und
morgen schleppe ich sie zum Friseur«, teilte Rosa Marzipan mit. »Eine neue
Frisur verleiht uns Frauen neue, ungeahnte Kräfte.«
     
    Am
selben Abend, gleich nach dem Essen, sagte Mrs. Simpson, sie wolle Rosa und
Mielchen etwas zeigen. So kam es, dass der Jokus und Mäxchen allein waren.
    »Eine
günstige Gelegenheit für ein Gespräch unter Männern«, meinte der Jokus.
    Mäxchen
fühlte sich geehrt. »Ich bin ganz Ohr.«
    »Du
hast Mrs. Simpson in den letzten Tagen so unverhohlen wütend angestarrt, dass
ich dachte, du wolltest ihr den Kopf abbeißen.« Weil der Junge schwieg, fuhr
der Professor fort: »Vermutlich hast du ein paar Dinge aus Fairbanks erfahren.
Zum Beispiel über Ladenstuben. Und sicher hast du geschworen, den Mund zu
halten.«
    Mäxchen
schwieg noch immer.
    »Halte
dein Wort und halte den Mund«, sagte der Jokus. »Das ist völlig in Ordnung. Ich
habe aber niemandem Stillschweigen versprochen. Deshalb darf ich wenigstens zu
dir über Mielchens Mutter sprechen. Du tust ihr Unrecht.«
    »Nein!«,
rief Mäxchen empört. Er zitterte vor Zorn.
    »Doch,
doch«, sagte der Jokus. »Vor ein paar Tagen hat sie uns alles erzählt. Hier in
diesem Zimmer.«
    »Weil
sie ein schlechtes Gewissen hatte.«
    »Ganz
sicher. Aber auch, weil sie fortwollte.«
    »Fort?
Wohin denn?«
    »Ich
weiß es nicht. Und sie wusste es ebenso wenig.«
    »Mit
Mielchen?« Mäxchen war sehr blass geworden.
    »Nein«,
sagte der Jokus. »Allein. Sie sei ein überflüssiger Mensch.«
    »Und
warum ist sie …?«
    »Warum
sie nicht fortgegangen ist? Weil ich ihr befohlen habe hier zu bleiben.«
     
    Damit
war das ernste Männergespräch zu Ende. Denn das Marzipanfräulein und Mrs. Jane
Simpson kamen ins Zimmer, setzten sich und schienen recht vergnügt zu sein. Der
Junge blickte von einer zur anderen und fragte: »Wo ist denn Mielchen?«
    Da
legte Mrs. Simpson eine halb offene Streichholzschachtel auf den Tisch. In der
Streichholzschachtel lag die kleine Miss und schlief.
    Das
heißt, sie tat nur so, als ob sie schliefe. Und Mäxchen tat, als ärgere er
sich. »Das ist ja der Gipfel«, schimpfte er. »Wenn man einer Frau den kleinen
Finger gibt, nimmt sie gleich die ganze Schachtel! Und was hat die freche
Person an? Einen meiner Pyjamas! Man merkt es ganz deutlich an den männlichen
Knopflöchern.«

    »Um
alles in der Welt, was sind denn männliche Knopflöcher?«, fragte der Jokus.
    »Wir
Männer haben die Knopflöcher links und die Knöpfe rechts. Und die Frauen
erkennt man daran, dass es bei ihnen genau umgekehrt ist«, erklärte Mäxchen
eifrig. »Also hat sie den Schlafanzug gestohlen. Ich rufe die Funkstreife.«
    Da
setzte sich Mielchen mit einem Ruck hoch. Ihre Augen blitzten vor Übermut.
»Aber die Streichholzschachtel ist meine eigne Schachtel, und die Matratze, das
Plumeau und die Kissen hat meine Mutter extra für mich genäht. Merk dir das,
du... du… du männliches Knopfloch!« Und dann streckte sie ihm, man sollte es
nicht für möglich halten, die Zunge heraus. »Bäh!«
    Mäxchen
wollte sich nicht lumpen lassen. Doch der Jokus hielt ihm den Mund zu und
sagte: »Morgen bestelle ich mir beim Schneider ein Jackett mit zwei
Brusttaschen, einer auf der linken und einer auf der rechten Seite, damit ihr
euch wenigstens nicht zanken könnt, wenn wir unterwegs sind.«
     
    »Da
hast du’s«, meinte der Professor später, als er sich voller Wohlbehagen im Bett
ausstreckte. »Sie ist gar keine schlechte Mutter. Sie hatte vor lauter Freude
rote Backen.«
    Mäxchen,
der in seiner Streichholzschachtel saß, nickte. »Einmal hat sie sogar ganz
richtig gelacht.«
    »Seit
neun Jahren wahrscheinlich zum ersten Male. Ihr beiden wart aber auch sehr
ulkig«, sagte der Jokus. »Merkwürdig, mir ist, als lebte dieses Mädchen schon seit
einer Ewigkeit bei uns.
    Dabei
haben wir sie doch erst vor einer Woche am Flugplatz abgeholt! Rosa begreift es
genauso wenig.«
    Plötzlich
machte es ›Klick‹, und sie lagen im Dunkeln. Der Junge hatte die Lampe
ausgeknipst.
    »Nanu,
bist du denn schon müde?«, fragte der Jokus.
    »Nein.«
    »Sondern?«
    »Ich
bin über Mielchen sooo froh, dass ich’s bei elektrischem Licht gar nicht sagen
könnte. Nicht einmal dir.«
    Sie
lagen eine ganze Weile still. Vorm Fenster zauste der Wind die Zypressen. Es
war der Südwind, der aus Italien kam und über die Alpen nach Norden wollte, wo
es seine Leibspeise gab: frisch gefallenen Schnee.
    Der
Jokus glaubte
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