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Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Titel: Der Kleine Mann und die Kleine Miss
Autoren: Erich Kästner
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Finger.«
    »Das
macht nichts«, meinte sie und lächelte schon wieder ein bisschen.
     
    Ich
weiß ja nicht, wie ihr darüber denkt. Mäxchens erste Wut war begreiflich, und
diese erste Wut war nicht seine letzte. Wochenlang konnte er Mielchens Mutter
vor lauter Zorn nicht in die Augen sehen. Und sagen durfte er nichts. Er hatte
bei Jakob Hurtigs Schulranzen geschworen, das wollen wir nicht vergessen.
Andrerseits...
    Immer
gibt es dieses ruhelose Einerseits und Andrerseits. Es plagt einen noch, wenn
man graue Haare oder überhaupt keine Haare mehr hat. Andrerseits, meine ich,
war doch Mrs. Jane Simpson nicht so schlimm wie die beiden Eltern, die, weil
sie nichts zu essen hatten, Hänsel und Gretel nachts ganz einfach in den Wald
schickten!
    Sie
hatte sich abgerackert und in ihrem armseligen Laden Konserven und Schnaps an
Eskimos und Indianer, an Lachsfischer und Pelzhändler verkauft. Auch an
amerikanische Flieger und Mechaniker, die in der Nähe stationiert waren und
mitunter nach Fairbanks kamen, um eine Nacht durchzubummeln.
    »Sperr
deinen blöden Laden zu«, hatten sie gegrölt. »Mit einem Fräulein, das nur einen
halben Meter groß ist, wollten wir schon lange mal tanzen gehen.« Einer hatte
sogar nach der Ladenkasse gegriffen. Und wenn sie damals nicht mit dem spitzen
Büchsenöffner zugeschlagen hätte...
    Doch
wozu soll ich euch mit solchen abenteuerlichen Geschichten langweilen? Ich
versuche ja nur, euch und mir selber zu erklären, warum Mrs. Simpson ihr Kind
so lange versteckt und totgeschwiegen hatte. Es war doch das reine Wunder, dass
Mielchen trotz der neun einsamen Jahre ein gesundes und normales Kind geblieben
war. Hatte das die Mutter denn nicht bedacht?
    Ich
kann es einfach nicht glauben. Deshalb schlage ich vor, dass wir uns anhören,
was sie, etwa zur gleichen Zeit, im Wohnzimmer der ›Villa Sorgenklein‹
erzählte.
    Rosa
Marzipan und der Jokus saßen auf dem Sofa. Mrs. Simpson saß ihnen gegenüber auf
einem Sessel, ließ den Kopf hängen und wirkte wie ein Schulmädchen aus der vierten
oder fünften Klasse. Doch wenn sie den Kopf hob, sah man ein müdes und
abgehärmtes Frauengesicht.
    »Alles,
was ich getan habe, war falsch«, erklärte sie. »Ich wollte einen großen Mann
und große Kinder haben. Ist das eine Sünde? Sind es zwei Sünden? Sind es
siebenundachtzig Sünden?«
    »Nein«,
sagte Rosa. »Aber…«

    »Ich
fand den großen Mann. Aber ich bekam ein fünf Zentimeter kleines Kind. Der Mann
lief vor Schreck auf und davon. Er hielt mich für verhext. Ich hatte Angst.
Angst vor mir selber, Angst vor dem Baby, Angst um das Baby, Angst vor der Farm
mit den Blaufüchsen, Angst vor der Kälte. Und in dem Laden in Fairbanks gab es
neue Angst. Wenn ich nun krank geworden wäre? Oder Emily?
    Und
die Angst vor den betrunkenen Männern im Laden…« Mrs.
    Jane
Simpson, geborene Pichelsteiner, hob den Kopf und blickte das Paar auf dem Sofa
traurig an. »Ich bin kein schlechter Mensch, aber ich war keine gute Mutter.
Können Sie meine Tochter hier behalten?«
    »Natürlich
bleibt sie hier«, sagte der Jokus. »Mäxchen würde uns den Kragen umdrehen, wenn
Mielchen nicht bliebe. Aber warum fragen Sie?«

    Rosa
Marzipan beugte sich vor. »Sie wollen doch nicht etwa …?«
    »Doch,
ich will fort. Ich bin ein überflüssiger Mensch. Nicht einmal das Kind wird
mich vermissen.«
    »Das
glauben Sie ja selber nicht«, meinte der Jokus. »Kein Quadrat ist rund und
keine Mutter ist überflüssig.«
    »Sie
müssen bleiben«, sagte Rosa. »Nicht nur Mielchen zuliebe, sondern auch wegen
Ihrer Semmelknödel.«
    »Außerdem
muss jemand das große und das kleine Haus hüten, während wir mit dem Zirkus
unterwegs sind.« Der Jokus zündete sich eine Zigarette an. »Wir wollen uns doch
noch nicht endgültig zur Ruhe setzen. Kurz und gut, meine liebe Mrs. Simpson,
Sie bleiben, weil wir Sie brauchen, und damit basta!«
    Die
Aussprache hatte Mielchens Mutter gut getan. Das merkte 187
    man
schon nach ein paar Tagen. Sie war nicht mehr so schüchtern und niedergedrückt
wie zu Anfang. Es kam sogar vor, dass sie lächelte, wenn die anderen lachten,
und da sah man erst, wie hübsch sie eigentlich war.
    Einmal
holte Rosa den Jokus aus dem Arbeitszimmer, legte den Finger vor den Mund und
machte an der Küchentür Halt. Sie hörten Tellergeklapper, weil Mrs. Simpson das
Geschirr abwusch, aber sie hörten noch etwas. Sie sang!

    Da
schlichen sie wieder ins Arbeitszimmer zurück, und der Professor sagte: »Na
also. Das
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