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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay
Autoren: Chandrahas Choudhury
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Unser Projektor ist auch über fünfzig Jahre alt! Ich könnte eine kleine Führung mit Ihnen machen – sofern Sie einigermaßen Treppen steigen können, denn wir haben hier keinen Aufzug.«
    »Mit Treppen habe ich gewisse Probleme«, gab der Mann zu.
    »Entschuldigen Sie, Sir, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Arzee.«
    »Arzee. Und wie weiter?«
    »Belassen wir es bei Arzee, Sir. Das ist eine komplizierte Frage! Man nennt mich hier einfach Arzee, den Zwerg.«
    »Sehr erfreut«, sagte der Mann und reichte ihm seine große, feuchte Hand. »Ich heiße Sharma. Rajneesh Sharma.«
    Rajneesh Sharma! Hier! Rajneesh Sharma höchstpersönlich war im Noor, und keiner wusste es!
    »Sie – Sie sind hier!«, sagte Arzee. »Nach so langer Zeit!«
    »Was sollte ich denn machen?«, fragte Rajneesh Sharma. »Es geht mir gesundheitlich nicht so gut, das sehen Sie ja.Und ich habe nicht gern mit Menschen zu tun. Menschen verstören mich. Sie wollen immer irgendwas von mir.«
    Arzee sagte nichts, er stand einfach nur da, halb respektvoll, halb vorwurfsvoll.
    »Und vielleicht haben sie wirklich nicht recht«, sagte der Dicke.
    »Wer, Sir?«
    »Meine Söhne.«
    »Mit was denn, Sir?«
    »Vielleicht haben sie nicht recht, wenn sie sagen, dass das Kino zugemacht werden muss. Vielleicht sind Erinnerungen wichtiger als Geld. Vielleicht ist die Vergangenheit wichtiger als die Zukunft.« Rajneesh Sharma begann noch schwerer zu atmen. »Wenn ich erst mal tot bin, und lang wird das nicht mehr dauern, können sie machen, was sie wollen. Aber solange ich noch lebe … Meine Stimme zählt noch etwas. Und auf den Dokumenten steht schließlich meine Unterschrift.«
    »Mögen Sie noch lange leben, Sir«, sagte Arzee mit bebender Stimme. »Mögen Sie noch lange leben!«
    »Und jetzt, mein Freund, mache ich mich auf den Weg«, sagte Rajneesh Sharma, und mit jedem Wort schien er noch größer zu werden, als saugte er die Dunkelheit ringsum auf. »Aber Ihre Freundlichkeit ist nicht unbemerkt geblieben in dieser Zeit, in der niemand mehr an seine Mitmenschen denkt. Und sie wird belohnt werden, so Gott will.«
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Sir«, flüsterte Arzee. »Aber – folgen Sie Ihrem Herzen, Sir, und nicht Ihrem Kopf. Dann wird alles gut. Die Liebe irrt nie.«
    »Danke. Würden Sie den Sitz für mich festhalten? Ich stehe jetzt auf.«
    Und während Arzee die Armlehne des Sitzes festhielt,hievte sich Rajneesh Sharma mühsam hoch und schaute im Stehen noch eine Weile auf die Leinwand, dann hob er die Hand und trottete schwerfällig hinaus.
    Arzee sank in den frei gewordenen Sessel, der noch warm war. Blicklos starrte er auf die Leinwand. Der Film lief weiter. Eine Minute verstrich. Die Unterhaltung verblasste.
    »Ist das wirklich passiert, oder war es nur ein Traum?«, fragte sich Arzee. »Es war ein Traum! Ich werde langsam verrückt. Das ist alles Moniques Schuld! Oder es liegt an diesem Ort, hier drinnen glaubt man doch alles Mögliche. Aber ich könnte schwören, dass es wirklich passiert ist. Soll ich schnell rauslaufen und gucken? Weit kann er noch nicht gekommen sein. Nein … dadurch würde ich alles ruinieren, und das würde ich mein Lebtag bereuen! Wenn es eine Vision war, dann war es eben eine. Aber Gerüche lügen nicht, und ich rieche ihn noch. Außerdem ist der Sitz noch warm! Allerdings könnte das auch an mir liegen. Andererseits habe ich vor zehn Minuten noch da drüben gesessen, warum also sollte ich hier sein, wenn nicht wegen ihm? Habe ich gestern mit Monique gesprochen, oder habe ich das auch nur geträumt? Fahre ich heute Abend nach Goa? Ich drehe gleich durch! Wenn ich noch länger in dieser Dunkelheit sitzen bleibe, fange ich noch an, an meinem Namen zu zweifeln! Ich sollte gehen. Ich werde in den Vorführraum hochgehen und Sule sagen, wie miserabel er die Bildschärfe eingestellt hat.«
    Er lief in den Korridor hinaus und dann ins Foyer, und je weiter er die irremachende Dunkelheit hinter sich ließ, desto wahrscheinlicher erschien es ihm, dass das, was er gerade gesehen und gehört hatte, eine Halluzination gewesen war, eine Vision, wie sie sein Gehirn, das noch nie das robusteste gewesen und jetzt, erst durch seinen schrecklichen Kummerund dann durch innigste Liebe, vollends aus dem Gleichgewicht geraten war, so meisterhaft hervorzubringen wusste. Doch dann sah er Tawde an der Tür stehen, und Tawde hielt einen Zwanzig-Rupien-Schein in der Hand.
    »Den hat mir gerade einer beim Rausgehen
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