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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay
Autoren: Chandrahas Choudhury
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trotzdem hatte Monique nicht angerufen! Arzee wusste, warum. Nachdem sie ihn auf diese Weise verlassen hatte, konnte nicht sie es sein, die anrief oder ihm ein Zeichen gab. Nur er, Arzee, der Kleine, konnte die Verbindung wiederherstellen, wenn sein Herz groß genug war, wenn er seinen Groll hinunterschlucken konnte, wenn er den Weg durch das Labyrinth fand. Und er hatte es getan – obwohl er die schlimmsten Torturen hatte ausstehen müssen, war er dazu großherzig genug gewesen! Und was waren derweil Moniques Pläne gewesen? Wo strebte sie hin, so ganz allein? Hätte sie einen anderen geheiratet, wenn er nicht mehr aufgetaucht wäre, und hätte siedann noch an ihn gedacht? Man konnte es nicht wissen. Bei Monique war alles so geheimnisvoll.
    In seiner Begeisterung hatte er gesagt: »Ich komme sofort, mit dem nächsten Zug!«, und sie hatte geantwortet: »Gut, aber meinst du denn, du kriegst noch eine Fahrkarte?«, doch dann war ihm eingefallen, welcher Tag es war, und er hatte gesagt: »Es geht nicht – morgen heiratet Phiroz’ Tochter, und er würde es mir nie verzeihen, wenn ich nicht komme.« Und vielleicht war diese Verzögerung um einen Tag auch gar nicht so verkehrt, denn auf diese Weise konnte er mit Mutter sprechen und seinen Willen durchsetzen, solange sie noch meinte, ihm etwas schuldig zu sein, weil er so viel durchgemacht hatte. Er kannte Mutter gut genug, um zu wissen, dass sie, auch wenn er ursprünglich Christ gewesen war, eine Rückkehr zu seinen Wurzeln durch die Verbindung mit einer Christin nicht einfach so billigen würde. Oh nein! Wie froh hingegen wären seine leiblichen Eltern über Monique gewesen! Er kam nun mal aus so vielen verschiedenen Ecken, dass er es nicht allen recht machen konnte.
    »Und Vater hätte sich auch gefreut«, dachte er. »Drei von vier Eltern, das ist doch gar nicht schlecht!«
    Die Zeit hatte ihn aus ihrem Würgegriff entlassen, und er hatte geredet und geredet, hatte die gleichen Dinge einmal so und einmal anders gesagt und sich erst von Monique verabschiedet, als Deepak die Geduld ausging und er Arzee daran erinnerte, wer für dieses Gespräch bezahlte. Doch den restlichen Tag hatte Arzee Monique dann alle halbe Stunde von seinem eigenen Handy aus angerufen wie ein Mann, der befürchtet, gleich aus einem Traum zu erwachen.
    Arzee blickte nach oben und sah, wie der Himmel goablau wurde, spürte, wie seine Schuhe im Sand versanken. IhrGesicht trat ihm wieder vor Augen. Ob Monique wohl zugenommen hatte oder das Haar anders trug? Ob sie von der Sonne Goas gebräunt war? Benutzte sie wohl noch das gleiche Parfum? Und das waren nur die Äußerlichkeiten! Wenn man Leute nach längerer Zeit wiedertraf, erwartete man immer, dass sie genauso aussahen, wie man sie in Erinnerung hatte, aber ein bisschen hatten sie sich natürlich unweigerlich verändert. Morgen würde er mit einem bestimmten Bild von Monique im Kopf in Goa ankommen, doch am Bahnhof würde ihn eine andere Monique erwarten, und die ersten paar Tage würde er schlicht damit verbringen, seine Erinnerungen zu aktualisieren. Und umgekehrt war auch er, wie er hier in Bombay auf dem Trittbrett eines Busses stand, nicht mehr der Arzee, mit dem Monique sich im Geiste gerade unterhielt, während sie aus ihrem Fenster mit Meerblick schaute oder in ihrem Salon goanische Locken abschnippelte. Er hatte so viel durchgemacht – wie hätte er derselbe bleiben können? Und er wusste natürlich nicht, wie es bei ihr war, aber er hatte ordentlich zugelegt. Deepak hatte nur unwesentlich übertrieben, als er behauptet hatte, Arzee habe Hängebacken wie eine Bulldogge.
    »Wenn ich irgendwas vom Leben gelernt habe, dann, dass ich diesmal vorsichtig sein werde«, dachte er. »Heute geht es mir gut, aber nicht ganz so gut wie gestern, und das hat seinen Grund. Ich habe immer noch Wut und Schmerz in mir, und ich weiß nicht, was geschehen wird. Und genau das muss ich mir immer wieder sagen: ›Ich weiß es nicht.‹ Ich werde ein paar Tage mit ihr verbringen, und dann werde ich weitersehen. Vielleicht möchte sie wieder nach Bombay zurück. Aber in Bombay ist für mich nichts mehr zu holen, und dann geht es nirgendwohin mit uns. Oder vielleicht ist jetzt Panjim derrichtige Ort für sie. Aber was soll ich da? Vielleicht stimmt es ja, was ich neulich nachts erkannt habe, was ich mir gesagt habe: Dass ich allein sein muss. In diesem Fall fahre ich nach Goa, um mich von Monique zu
verabschieden
! Aber zumindest ist es dann ein Abschied, den
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