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Der Kreuzfahrer

Der Kreuzfahrer

Titel: Der Kreuzfahrer
Autoren: Angus Donald
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    Teil eins
    England
    Kapitel 1
    I ch habe lange gezögert, ehe ich mit dieser Aufzeichnung begann, denn ich war entschlossen, diesen Teil meines Lebens niemals schriftlich niederzulegen. Doch neulich hörte ich in einer Schenke in Nottingham einen Mann – Geschichtenerzähler von Beruf, und ein recht guter – die Tugenden des Königs Richard Löwenherz und seiner tapferen Krieger beim Großen Kreuzzug ins Heilige Land vor über vierzig Jahren in den höchsten Tönen loben. Der Mann beschrieb die in Stahl gehüllten christlichen Ritter als großartige, tödliche Kämpfer und schilderte den unvergesslichen Sieg über die Sarazenen bei Akkon und Arsuf. Er sprach von den himmlischen Belohnungen, die jeden erwarteten, der im Kampf für eine so edle Sache fiel, und von den reichen irdischen Belohnungen der Plünderei und Kriegsbeute für jene, die nicht dabei umgekommen waren …
    Doch dieser eloquente Geschichtenerzähler erwähnte mit keinem Wort die wahren Bilder, Gerüche und Geräusche auf einem Schlachtfeld nach einem ruhmreichen Sieg – die Bilder, die einen nicht mehr loslassen und bis in den Schlaf verfolgen. Er sagte nichts von den Leichen, Tausenden von Leichen mit kalkweißen Gesichtern und stierem Blick, totenstarr und aufeinandergehäuft wie Brennholz. Kein Wort über die Pferde mit aufgeschlitztem Bauch, die auf ihre eigenen Eingeweide treten, zitternd mit den Augen rollen und schreien vor Angst. Über den an Eisen und Fleisch erinnernden Gestank nach frischem Blut und verspritzten Fäkalien, ein Geruch, der einem in der Kehle kleben bleibt und sich nicht so leicht wegspülen lässt. Über das Summen von Tausenden und Abertausenden dicker Schmeißfliegen oder die unablässigen, hoffnungslosen Klagen der schwerverwundeten Kämpfer, deren Pein einen dazu treibt, sich die Ohren zustopfen zu wollen.
    Er sprach nicht davon, wie grausig es ist, einen Mann aus nächster Nähe zu töten, die Todeszuckungen zu spüren, in denen sich ein fremder Leib am eigenen windet. Seinen nach Zwiebeln stinkenden Atem an der Wange und den heißen Schwall seines Blutes auf den Händen zu fühlen, wenn man die Klinge tiefer in sein Fleisch bohrt. Schwindelig vor Übelkeit und Erleichterung zu sein, wenn es vorbei ist und der Mann einem zu Füßen liegt, plötzlich nichts weiter als ein schlaffer Sack aus Haut, gefüllt mit Knochen.
    Der Geschichtenerzähler hat nicht gelogen – und doch hat er nicht die Wahrheit gesagt. Und als ich in jener Schenke sah, wie die Augen der jungen Männer im Feuerschein leuchteten, während sie den Geschichten von mutigen christlichen Helden lauschten, die sich durch die Reihen der feigen Ungläubigen schlugen, da wusste ich, dass ich die wahren Ereignisse dieses Feldzugs vor vierzig Jahren niederschreiben muss, den wahren Verlauf jener Schlachten in der Ferne, so wie ich sie mit meinen eigenen jugendlichen Augen gesehen habe.
    Diese Geschichte handelt nicht von tapferen Helden und unvergänglichem Ruhm, sondern von sinnlosem Gemetzel und Strömen unschuldigen Blutes. Von Gier, Grausamkeit und Hass … und von der Liebe. Diese Geschichte erzählt auch von Treue, Freundschaft und Vergebung, vor allem aber von meinem Herrn Robert Odo, dem großen Earl of Locksley, einst im ganzen Land als Robin Hood bekannt – ein listiger Dieb, ein kaltherziger Mörder und, Gott verzeih mir, viele Jahre lang mein lieber Freund.
    Während ich diese Geschichte von meiner längst vergangenen Reise an einem Stehpult in der großen Halle des Herrenhauses von Westbury niederschreibe, spüre ich das erdrückende Gewicht der Jahre. Meine Beine schmerzen, wenn ich mich so lange über das Pult beuge. Meine Hände, welche Federmesser und Schreibfeder führen, sind nach vielen Stunden der Arbeit verkrampft. Doch unser gnädiger Herrgott hat mich in den vergangenen achtundfünfzig Jahren stets behütet, in allerhand Gefahren und blutigen Schlachten, und ich glaube fest daran, dass er mir die Kraft verleihen wird, diese Aufgabe zu vollenden.
    Durch die weit geöffnete Tür der Halle stiehlt sich eine leichte Brise herein, die in den Binsen auf dem Boden raschelt und die warmen Düfte des frühen Herbstes zu mir hereinträgt, während ich auf diesem Stück Pergament herumkratze: sonnenwarmer Staub vom Hof dort draußen, Heu, das in meinen Schobern trocknet, und einen süßen Hauch von den Früchten, die schwer in meinem Obstgarten hängen.
    Wir hatten ein fettes Jahr hier auf Westbury: Der heiße Sommer hat das
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