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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling
Autoren: Jutta Mehler
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    Mirza war fleißig und ordentlich.
    Sie hielt auch die Milchbehälter keimfrei sauber. Seit Mirza auf dem Hof war, gab es keine Beanstandungen mehr vom Gesundheitsamt.
    Mirza konnte überall anpacken. Sie konnte sogar die Kühe melken, per Hand. Seit drei Wochen molk sie allerdings mit einer Melkmaschine, die Bene für den Gegenwert von zwei gut gefütterten Kälbern beschafft hatte.
    Der Alte war die Wände hochgegangen, als Mirza die Ansaugzylinder bei der ersten Kuh in der Reihe der zwölf Rindviecher ansetzte. »Ein Apparat muss jetzt her zum Melken wegen dem Frauenzimmer, dem vermaledeiten. Damit bloß kein Dreckfleckerl draufkommt auf die rot lackierten Fingernägel.«
    Zur Bekräftigung hatte er treffsicher auf den Klarsichtschlauch der Melkmaschine gespuckt, in dem bereits die Milch schäumte.
    Er hatte es mit dem Spucken, der Alte.
    »Da kann man halt nicht selber Hand anlegen, mit drei Ringen an jedem Finger – in Minirock und Riemchensandalen«, redeten ihm die Leute aus Erlenweiler das Wort.
    Was sie auch sagten, Fanni wusste es besser, weil Fanni von ihrem Badezimmerfenster aus ganz genau sehen konnte, was Mirza im Stall anhatte: alte Turnschuhe vom Bene und eine Latzhose, auch vom Bene, aus der er schon seit seiner Firmung herausgewachsen war.
    Die rosa Sandalen mit den orangegelben Plastikblüten, den Minirock, das schwarze Spitzentop – ihre feinen Sachen also – zog Mirza nur sonntags an oder wenn sie in die Stadt zum Einkaufen fuhr. Gut, hin und wieder, wenn Mirza einfach hübsch aussehen wollte (Bene gefiel sie sicher sehr in ihrem faszinierenden Ensemble) und wenn sie keine Dreckarbeit zu machen hatte auf dem Hof, dann putzte sie sich auch zu Hause manchmal so auf. Sie machte sich zurecht wie Fannis Töchter vor fünfundzwanzig Jahren ihre Barbiepuppen.
    »Gestern hat sie wieder den Nuttenfummel angehabt, beim Krapfenbacken«, mauschelten dann die ehrbaren Bürger von Erlenweiler.
    Als Fanni mit der Zeit Mirzas böhmische Mehlspeisen kennenlernte, kam ihr einmal ein verwegener Gedanke: Vielleicht gelingen sie eben deshalb so gut, die Hefekringel, sagte sich Fanni, weil sich Mirza so chic herrichtet zum Backen. Der Teig fühlt sich geehrt und geschmeichelt, und deshalb geht er auf, kommt hoch wie … Werd nicht ordinär, Fanni!
    Fanni leckte sich jedes Mal zu Hause noch die Finger, wenn ihr Mirza beim Milchholen eine ihrer unvergleichlichen Liwanzen angeboten hatte, die Fanni schon auf halbem Weg über die Wiese komplett verspeiste.
    Schon allein wegen der köstlichen Liwanzen sollte der Alte vor Mirza auf den Knien liegen, rund um die Uhr, fand Fanni.
    Stattdessen hatte er sie erschlagen! Anders war das Bild, das sich Fanni bot, nicht zu interpretieren.
    »Erschlagen! Mord! Polizei!« Wie Signallämpchen leuchtete es auf in Fannis Hirn.
    »Polizei«, flüsterte Fanni. Ihr Wispern rief niemanden auf den Plan.
    »Anrufen«, signalisierte Fannis Hirn, »Telefon, Nummer wählen.«
    »110«, steuerte der Verstand bei, als sich Fanni noch immer nicht bewegte.
    »Ihr Name ist Fanni Rot«, fasste die Stimme am Telefon Fannis Vortrag zusammen. »Sie melden einen Leichenfund in Erlenweiler. Die Identität der toten Person ist Ihnen bekannt. Gut, Frau Rot. Eine Polizeistreife ist unterwegs. Betreten Sie den Fundort nicht und sorgen Sie dafür, dass auch sonst niemand in die Nähe des Fundortes kommt.«
    Fanni legte auf.
    »Bin ich der Sheriff von Erlenweiler?«, maulte sie und bezog Stellung vor den Johannisbeerstauden. Sie drehte der toten Mirza den Rücken zu, sah zur Straße hinunter und wartete.
    »Sind Sie da herumgetrampelt?«, blaffte der Streifenpolizist gut fünfzehn Minuten später.
    »Nein«, beteuerte Fanni, »ich bin nur bis hierher getreten, hier auf diese Stelle«, und sie deutete auf einen platt gedrückten Rasenflecken, fünfzig Zentimeter von Mirzas Sandale entfernt.
    »Was angefasst?«, knurrte der Beamte.
    »Nein.«
    »Kripo!«, bellte er.
    Fanni fuhr zusammen und glotzte ihn verständnislos an, bis ihr aufging, dass er in Richtung Streifenwagen gekläfft hatte.
    Fanni hatte genug jetzt, und wenn sie genug hatte, dann wurde sie patzig. »Ich bin im Haus, die Klingel ist links von der Tür, ich hoffe, Sie drücken nicht drauf.«
    Am liebsten hätte Fanni komplett verdrängt, was sie gesehen hatte. Aber während sie die Zwiebeln schnitt, deren Schalen an all den Widrigkeiten dieses Vormittags schuld waren, fiel ihr Blick sporadisch aus dem Küchenfenster auf die Straße vor dem
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