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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling
Autoren: Jutta Mehler
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schleunigst weg.
    Mirza war nicht mehr zu helfen, und was immer sie vom Hof über die Wiese herunter und hinter Fannis Stauden getrieben hatte, um dort zu sterben, spielte jetzt keine Rolle.
    Andererseits: Man konnte sie doch nicht so blutig und einsam auf dem Grenzstreifen liegen lassen.
    Das kann bloß der Alte angerichtet haben, schoss es Fanni durch den Kopf. Er wollte sie ums Verrecken nicht auf dem Hof haben, hat ihr das Leben jeden Tag zur Hölle gemacht.
    Das Thema Mirza und der Alte wurde schier stündlich durchgehechelt in Erlenweiler.
    Der »Alte« war Benedikts Vater, er hatte sich von Anfang an mit Klauen und Zähnen gegen die Schwiegertochter gesträubt. Die Leute von Erlenweiler gaben mit der Zeit widerwillig zu, dass Mirza fleißig und geschickt war und eine gute Frau für den Benedikt. Bloß der Alte, der trieb es von Woche zu Woche schlimmer mit seiner Niedertracht.
    »Heilfroh soll der sein«, hatte Fanni wiederholt zu ihrem Vis-à-vis-Nachbar Meiser gesagt, »dass er so eine Tüchtige ins Haus bekommen hat, auch wenn Bene die Mirza im Tschechischen drüben von der Straße aufgelesen hat – na und.«
    Seit Benedikts Mutter vor fünf Jahren gestorben war, hatten Bene und der Alte in ihren Zimmern gehaust, ohne ein einziges Mal sauber zu machen, das wusste Fanni genau.
    Mirza war noch keine Woche auf dem Hof, da hatte sie schon Küche und Wohnstube komplett in Schuss gebracht. Einen Monat später waren die Schlafräume frisch geweißelt und das Badezimmer hübsch aufgeputzt.
    Mirza hatte Bene fest im Griff. Der spurte, wenn sie sagte: »Bene, müssen wir machen das sofort.« Mirza erklärte Bene, wie sie ihre Pläne ausgeführt haben wollte, und Bene befolgte alles exakt.
    Dabei galt Bene in Erlenweiler als Trottel.
    Zugegeben, schon in den ersten Monaten auf der Grundschule hatte sich gezeigt, dass Bene mit abstrakten Begriffen nichts anzufangen wusste. Eine Zahl, frei in der Luft schwebend, weder als Paar Schuhe noch als Dutzend Drahtstifte manifestiert, sagte ihm gar nichts. Damals gab es einigen Ärger, weil der alte Klein seinen eigenen Kopf hatte und die Lehrerin ein überspanntes, unfähiges Trumm nannte, ein ganzes Eck dümmer als die Kinder, die sie unterrichten sollte.
    Dem Tierarzt, der regelmäßig zum Klein-Hof kam, die Kühe besamte und ihnen Antibiotika spritzte, schenkte der Alte mehr Vertrauen. Der Doktor brauchte allerdings vier Wochen, bis er den alten Klein dazu überredet hatte, Bene auf die Sonderschule zu schicken.
    »Der Bene«, hatte der Tierarzt damals listig zum alten Klein gesagt, »der ist nicht dumm, der Bene, der ist schlauer als wir alle zusammen, und dreimal so schlau wie seine Lehrerin ist er, der Bene.«
    Das gefiel dem Alten.
    »Aber bestimmte Hirnzentren vom Bene«, machte der Tierarzt weiter, »solche, die für das Sprachgefühl, für abstraktes Denken, für Gedächtnisleistung und so was zuständig sind, die sind halt ein bisschen überwuchert von seiner Begabung auf dem Gebiet der Mechanik. Der Bene lebt in der Welt der Schrauben und Rädchen, der Vergaser und Verteilerfinger. In seiner Maschinenwelt, da ist der Bene ein richtiges Ass. Und deshalb muss er besonders gefördert werden, der Bene, in einer besonderen Sonderschule .«
    Das hatte dem alten Klein eingeleuchtet.
    Etliche Erlenweiler Mäuler behaupteten, Benes Manie für all diesen technischen Kram hätte seine Mutter so früh ins Grab gebracht. Fanni war da anderer Meinung:
    Bene war beschränkt, keine Frage, aber er war immer ein lieber Bub gewesen, und er war seiner Mutter nie eine Plage, denn die störte es nicht im Mindesten, wenn Bene von früh bis spät am Traktor oder am Mähwerk herumbastelte.
    »Der widerliche Alte hat Benes Mutter auf dem Gewissen«, hielt Fanni immer dagegen, sobald die Sprache auf den Tod der Klein-Bäuerin kam. »Der Alte, der hat seine Frau Tag und Nacht herumgescheucht, und ständig abgekanzelt hat er sie, die Klein-Bäuerin hatte keine erträgliche Stunde bei ihm.«
    »Es ist halt alles zusammengekommen«, lenkten dann die von Erlenweiler ein, »der zurückgebliebene Bub und der unleidliche Alte und das Knausern, weil der Milchpreis schlecht ist und der Besamer teuer.«
    Seit nun Mirza ins Haus gekommen war, legte sich der Alte gewaltig ins Zeug, um sie zu sekkieren.
    »Grundlos«, sagte Fanni immer wieder, »aus reiner Bosheit.«
    »Einer vom Strich muss man energisch kommen«, antwortete dann Nachbar Meiser, musste aber eingestehen, was immer offensichtlicher
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