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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling
Autoren: Jutta Mehler
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Haus. Und das, was dort draußen vorging, erinnerte Fanni aufdringlich daran, dass Mirza tot unter den Beerensträuchern lag.
    Fanni beobachtete, wie drei Polizeifahrzeuge nacheinander ankamen. Sie reihten sich vor Fannis Garage auf, Autotüren schlugen zu, Funkgeräte rauschten.
    Später, die Zwiebeln rösteten schon in der Pfanne, sah Fanni den Leichenwagen einbiegen. Sie wollte keinesfalls zusehen, wie Mirza in einem Blechsarg verpackt in den schwarzen Wagenfond geschoben wurde, deshalb ging sie in den Keller, um Karotten zu holen. Auf dem Rückweg machte sie sich noch eine Weile an den Marmeladegläsern zu schaffen. Sie sortierte Pflaume neben Kirsche und Aprikose vor Erdbeere, und als sie wieder in die Küche kam, rollte der Leichenwagen aus der Einfahrt.
    »Da liegt jetzt Mirza drin«, schluchzte Fanni, »tot und erschlagen, das hat sie nicht verdient, überhaupt nicht. Die Mirza war anständig, sehr anständig, Straßenstrich hin oder her.«
    Im Garten wuselten die Polizeibeamten herum.
    Nachbar Meiser war auch herübergekommen. Er rammte knapp zwei Meter vor den Johannisbeerstauden einen Holzpflock in die Erde und hämmerte drauf.
    Herr Meiser wohnte mit seiner Frau auf der anderen Straßenseite, genau vis-à-vis von Fanni. Frau Meiser konnte von ihrem Küchenfenster aus in Fannis Spülbecken und in Fannis Kühlschrank sehen.
    Herr Meiser war nicht so ein Drückeberger wie Fanni. Ganz im Gegenteil! Kaum waren die Beamten aus den Polizeiwagen gestiegen, hatte Herr Meiser bereits die Straße gekreuzt und seine Hilfe angeboten.
    Herr Meiser wusste eben, was sich gehörte.
    Er hatte den Holzpflock aus seinem eigenen Keller geholt, auch Hammer und Nägel mitgebracht, weil ein Absperrband um den Tatort gespannt werden musste, und er legte gleich selbst Hand an.
    Fanni deckte gerade den Tisch im Esszimmer, als Herr Meiser für die Polizeibeamten etliche Flaschen Orangensaft über die Straße trug. Frau Meiser kam mit einem Tablett voller Gläser hinter ihm her.
    Meisers sind halt so, dachte Fanni, immer parat, immer hilfsbereit und überall mittendrin mit der Nase.
    Vor ein paar Wochen erst hatte Meiser bei seinem links angrenzenden Nachbarn Böckl den Rasen gelüftet, weil Böckl selbst einfach nicht dazu kam und Böckls Frau deswegen dauernd meuterte. Es musste allerdings etwas schiefgelaufen sein dabei. Fanni hatte keine Ahnung, was, aber sie hatte bemerkt, dass sich Böckl und Meiser seither aus dem Weg gingen und nicht mehr miteinander sprachen.
    Umso mehr redete Meiser jetzt mit den Polizisten. Sie wussten wohl inzwischen, wen sie zu verhaften hatten. Meiser hatte ihnen sicher schon brühwarm erzählt, wie garstig der alte Klein immer mit seiner Schwiegertochter umgesprungen war.
    Als Fanni den Braten aufschnitt, bekam sie mit, wie Meiser der Nachbarin rechts von Fanni, Frau Stuck, Bericht erstattete.
    Hat sich selber zum Pressesprecher befördert, der Meiser, dachte Fanni und sah zu, wie Meiser Herrn und Frau Beutel (sie wohnten drei Häuser weiter gegenüber) auf der Straße abfing und ins Bild setzte. Meiser informierte noch diesen und jenen, den die Polizeiautos herangelockt hatten, über das spektakuläre Ereignis, und Frau Meiser stand nickend und beipflichtend dabei.
    »Selber schuld, dass du über die tote Mirza gestolpert bist«, nörgelte Fannis Mann, als er zu Mittag die gerösteten Zwiebeln auf seine Bratenscheibe häufte. »Was rennst du auch mit jedem einzelnen Zwetschgenkern zum Kompost? Hundertmal hab ich dir schon gesagt, du sollst das Zeug in einem Eimer sammeln.«
    »Schimmelt und stinkt«, redete ihm Fanni dagegen.
    »Himmelherrgott«, mampfte Fannis Mann, »du sollst den Eimer doch nicht vierzehn Tage lang auf dem Ofen stehen lassen!«
    »Blödmann.« Fannis Mann hörte es nicht, denn Fanni zerbiss das Wort und schluckte es mit einer Spirelli-Nudel hinunter.
    »Haben die den Alten gleich mitgenommen?«, kaute Fannis Mann.
    »Nichts gesehen.« Fanni begann den Tisch abzuräumen.
    Es ging auf halb vier zu.
    Fannis Mann hockte längst wieder in seinem Büro in der Stadt. Seit mehr als dreißig Jahren besetzte er einen Angestelltenposten beim Kreiswehrersatzamt, und Fanni hatte keine Ahnung, was er in letzter Zeit dort machte. Bis vor zwölf Monaten hatte er haufenweise Einberufungsbefehle und Musterungsbescheide – nun was?, verschickt?, ausgefüllt?, unterschrieben? Fanni gab ungern zu, dass sie sich nie dafür interessiert hatte.
    Mitte der Neunziger begann sich bei der Bundeswehr unter
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