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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord
Autoren: Laura Joh Rowland
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packte einen der Angreifer beim Arm. »Hör auf, du bringst ihn ja um! Was glaubst du, was du tust?«
    »Wer will das wissen?«
    Als Sano die schroffe Stimme im Rücken hörte, drehte er sich um. Ein stämmiger Mann mit kleinen, bösartigen Augen stand dicht hinter ihm. Er trug einen kurzen Kimono über Beinlingen aus Baumwolle; sein geschorenes Haar und das Kurzschwert, das er an der Hüfte über seinem grauen Umhang trug, kennzeichneten ihn als einen Samurai niederen Ranges. Dann erblickte Sano einen Gegenstand, den der Mann in der rechten Hand hielt: einen dünnen stählernen Stab mit zwei gekrümmten Dornen über dem Griffstück, welche die Schwertklinge eines Angreifers abfangen konnten. Es war eine jitte, eine Verteidigungswaffe, die zur üblichen Ausrüstung der dōshin gehörte, jener Polizeibeamten, die durch die Stadt patrouillierten, um Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten.
    Sano durchzuckte die plötzliche Erkenntnis, daß dieser Mann zu den Hunderten seiner Untergebenen zählte – eines aus der langen Reihe demutsvoll gesenkter Häupter, an denen Sano Ichirō bei seiner formellen Amtseinführung vorübergeschritten war, als er seinen Mitarbeitern vorgestellt wurde. Die bewaffneten Schläger, die inzwischen von ihrem Opfer abgelassen hatten und nun Sano anstarrten, waren die zivilen Helfer des dōshin, von dem sie in Eigenverantwortung eingestellt wurden. Diese Helfer erledigten die polizeiliche Dreckarbeit unter der Leitung des dōshin, und sie waren nur ihm Rechenschaft schuldig. Drei der Schläger kamen nun in drohender Haltung auf Sano zu.
    »Wer seid Ihr?« wiederholte der dōshin mit scharfer Stimme.
    »Ich bin yoriki Sano Ichirō«, erwiderte Sano. »Und jetzt sagt mir, weshalb Eure Männer diesen Bürger verprügeln.«
    Obwohl Sano mit ruhiger, fester Stimme gesprochen hatte, schlug ihm das Herz bis zum Hals, denn er würde kaum die Möglichkeit haben, notfalls seine erst kürzlich erworbene Amtsgewalt geltend zu machen.
    Der dōshin starrte Sano offenen Mundes an. Sichtlich verwirrt rieb er sich mit der Hand über das vorstehende Kinn. Dann verbeugte er sich unterwürfig.
    »Yoriki Sano -san «, murmelte er. »Ich habe Euch nicht erkannt.«
    Herrisch nickte er seinen Helfern zu, die hastig in einer Reihe Aufstellung nahmen und sich vor Sano verbeugten, die Hände auf den Knien. »Ich bitte demütigst um Vergebung.«
    Der mürrische Tonfall des Mannes strafte seine respektvollen Worte Lügen. Sano konnte die verschleierte Verachtung des dōshin spüren. Die Lider des Mannes wurden schmal, als sein Blick über den frisch rasierten Scheitel und das eingeölte Haar Sanos glitt, das am Hinterkopf zu einem kunstvollen Knoten gebunden war. Abscheu lag in seinen kleinen, bösartigen Augen, als er die vornehme Kleidung Sanos musterte: den schwarz und braun gestreiften haori und die neue schwarze hakama, die weite Hose, die Sano unter dem Umhang trug. Angesichts dieser offenkundigen Respektlosigkeit loderte Zorn in Sano auf; doch er konnte die Verachtung des Mannes verstehen. Die yoriki galten allgemein als eitel. Sano gab zwar nichts auf Äußerlichkeiten, doch sein Vorgesetzter, Magistrat Ogyū, hatte besonders hervorgehoben, wie wichtig gute Kleidung und ein ordentliches Erscheinungsbild seien.
    »Ich nehme Eure Entschuldigung an«, sagte Sano und beschloß, sich mit dem aktuellen Vorfall zu beschäftigen, anstatt sich mit Nebensächlichkeiten aufzuhalten und einem respektlosen Untergebenen den Kopf zurechtzusetzen. »Und nun beantwortet meine Frage: Was hat dieser Mann getan, daß Ihr ihn bestraft?«
    Jetzt konnte Sano Verwunderung auf dem Gesicht des dōshin erkennen. Yoriki begaben sich nur selten auf die Straßen; sie zogen es vor, sich den schmutzigen Niederungen der alltäglichen Polizeiarbeit fernzuhalten. Ein yoriki erschien allenfalls bei sehr ernsten Vorfällen, und dann auch nur als oberster Befehlsherr in voller Rüstung, mit Helm und Lanze. Sano vermutete, daß er der erste yoriki war, der Nachforschungen über einen alltäglichen Häuserbrand anstellte.
    »Das hier hat der Mann dort getan«, antwortete der dōshin und zeigte erst auf die ausgebrannten Hausruinen, dann auf den Zerlumpten. »Er hat das Feuer gelegt und fünfzehn Menschen getötet.« Er spuckte auf den Mann, der immer noch mit dem Gesicht im Schlamm lag. Dieser schluchzte leise, und seine Schultern zuckten.
    »Woher wißt Ihr das?«
    Vor Zorn und Haß reckte der dōshin sein vorstehendes Kinn noch weiter vor. »Gleich nach
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