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Der Keller

Der Keller

Titel: Der Keller
Autoren: Daniel Dersch
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Hahn des Revolvers gespannt und blickte geradewegs über Kimme und Korn in das Loch in der Wand. Er bahnte sich seinen Weg, wie ein Mann, der über eine morsche Holzbrücke ging: Ganz langsam und nur einen Schritt nach dem anderen.
    Als er den weichen Kellerboden unter seinen Absätzen spürte, ging er seitwärts nach links, bis er in etwa drei Meter Abstand vor dem Loch stand. Er starrte in die Dunkelheit, wie in den Schlund eines riesigen Fisches. So musste Jonas sich gefühlt haben, dachte er, kurz bevor für ihn die Lichter ausgingen. Der Gedanke an diese Bibelstelle, die er noch aus der Sonntagskirche kannte, erinnerte ihn an Doris Pearson. Zum ersten Mal fragte er sich, ob die alte schrullige Frau mit ihrer Geschichte nicht doch Recht gehabt hatte.
    Ich kann sehen, dass das das neugierige Kind in den Brunnen fallen wird, noch bevor die Sonne untergeht .
    Aber in diesem Augenblick er hatte keine Zeit, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er wischte den Gedanken daran aus seinem Verstand, wie Brotkrumen von einer Tischplatte. Dann trat er einen Schritt in Richtung Loch.
    „ Sam, bist du noch da? Falls du mich hörst mein Junge, dann komm aus dem verdammten Loch. Ich bin hier und passe auf, dass dir nichts passier“, schrie er. Dann wartete er fünf Herzschläge lang und als keine Antwort kam, ging er einen Schritt weiter.
    „ Sam, bitte komm da raus“.
    Fünf Herzschläge, keine Antwort. Roger tat noch einen Schritt.
    „ Sam, ich hab dich lieb. Bitte sag was, bitte.“
    Eins, zwei, drei, vier…
    Plötzlich konnte Roger wieder eine Bewegung im Loch erkennen. Das gleiche Gefühl wie letzt Nacht beschlich ihn. Er konnte spüren, dass irgendetwas aus dem Loch ihn mit den Augen fixierte und wagte es nicht, noch einen Schritt weiter zu gehen.
    „ Sam, hörst du mich“, schrie er. Der Lauf des Revolvers in seiner Hand zitterte, wie die Nadel eines Seismographs bei einem gewaltigen Erdbeben.
    „ SAAA-AAAM!“
    Nichts. Roger senkte den Revolver ein Stück, als er plötzlich wieder eine Bewegung im Loch erkannte. Ein glühend rotes Augenpaar wurde schnell größer und kam auf ihn zu. Er wich einen Schritt zurück. Dann erkannte er plötzlich eine weiße Pranke am zackigen Rand des Loches. Es war die verkrampfte Hand eines Leichnams, in dessen Gliedern die Totenstarre regierte. Eine zweite Pranke folgte der ersten und ebenfalls am Rand des Loches fest. Gleich darauf trat ein Gesicht in den engen Lichtkegel, der in das Innere des Loches drang.
    „ Hallo Daddy“, sagte die entstellte Fratze und ihre Lippen schürzten sich zu einem Lächeln, hinter dem zwei Reihen an Zähnen hervorkamen, die so scharf waren, wie Rasierklingen. Rogers Verstand stockte für einen Augenblick, erst dann erkannte, dass er in das Gesicht seines Sohnes blickte.
    „ Oh, mein Gott, Sam“, flüsterte er. Dann erblickte er ein zweites Augenpaar, das aus der Dunkelheit trat. Es war die Fratze aus Rogers Traum. Es war Walter.
    Die erste Kreatur, die früher sein Sohn gewesen war, setzt sich in Bewegung und begann aus dem Loch zu steigen. Erst ein Bein, dann das andere, bis sie sich aus der Dunkelheit gewunden hatte, wie aus einem diabolischen Mutterleib. Die Bewegungen waren abgehakt ungelenk – die Glieder seltsam verdreht und die Haut aschfahl. Roger ahnte, dass das, was gerade aus dem Loch gekrochen war, nicht mehr sein Sohn war. Es war zwar sein Körper, aber das, was darin wohnte, war das pure Böse und es war hinter ihm her. Roger wich noch einen Schritt zurück und dann konnte er spüren, dass er mit dem Rücken zur Wand stand.
    „ Nimm mich in den Arm Daddy, ich hab dich lieb“, zischte die kleinere Kreatur. Sie streckte dabei die Arme aus, so wie Sam es immer getan hatte, als er noch klein gewesen war und auf den Arm genommen werden wollte. Dicke gelbe Speichelfäden liefen ihm über das Kinn und ihre Augen funkelten, wie Rubine in der Mittagssonne. Währenddessen wand sich auch die größere Kreatur, die Bestie aus Rogers Traum, - WALTER- aus dem Loch und bleckte die Zähne.
    „ Nein, nein“, schrie Roger und nahm den Revolver wieder in Anschlag. Abwechselnd zielte er von einer Kreatur auf die Andere. Erst in das entstellte Gesicht seines Sohnes, dann in die des Monsters, das direkt hinter ihm stand. Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass sechs Schuss Munition vielleicht nicht ausreichen würden, um das Unheil abzuwenden, das in diesem Moment langsam und schlurfend auf ihn zukam.
    „ Komm her zu mir, Sam. Komm her zu mir.
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