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Der Keller

Der Keller

Titel: Der Keller
Autoren: Daniel Dersch
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ob er überhaupt noch in der Kanzlei vorbeischauen sollte und entschied sich schließlich dagegen. All die versäumten Termine konnten nachgeholt werden und da er sich die Räumlichkeiten mit zwei anderen Anwälten teilte, würde wohl keiner von beiden sauer auf ihn sein, dass er ihnen ein paar seiner Mandanten übrig ließ. Immerhin war das ja der Vorteil einer gemeinsamen Kanzlei: Es war ein ständiges Geben und Nehmen. Doch das war nicht der einzige Grund dafür, dass er sich dagegen entschied, nochmal im Büro vorbeizuschauen. Er konnte es nämlich kaum erwarten, die Wirren der vergangenen Nacht und des heutigen Tages endlich hinter sich zu lassen und es sich endlich mit einem Bier in der Hand vor dem Fernseher gemütlich zu machen.
    Alles andere kann warten, dachte er und schlug die Fahrertür hinter sich zu, so als wollte er die Geschehnisse des Tages aussperren, wie einen ungeliebten Handelsvertreter.
    Er startete den Motor, scherte in den Verkehr ein und fuhr in Richtung Chestnut Peak.

21.

    Roger hatte gerade die geteerte Straße verlassen und war auf den Kiesweg gefahren, der zum Haus führte, als er das Schauspiel erblickte. Auf der Spitze des Hügels, wurde das Haus abwechselnd in rotes und blaues Licht getaucht. Und obwohl es inzwischen bereits dämmerte und das Haus auch noch gut vierhundert Meter entfernt war, konnte er erkennen, dass ein Krankenwagen und mindestens drei Polizeiwagen in seiner Einfahrt parkten und dass dort reges Treiben herrschte. Rogers Knie verwandelten sich schlagartig in Wackelpudding und sein Herz setzte einen Schlag aus. Danach beschleunigte es wieder und das Pochen in seinen Ohren ähnelte dem Hufschlag eines kranken Gauls, der zum Schlachthof geführt wurde. Ohne zu überlegen, trat er das Gaspedal voll durch, bis die Reifen durchdrehten und der Kies pfeifend gegen den Unterboden des Wagens schlug, wie feindliche Arthellarie in das Heck eines Kampfflugzeuges.
    Während der Wagen beschleunigte und sich brummend den geschwungenen Kiesweg hoch fraß, jagten unzählige Gedanken durch Rogers verstand, wie Hunde auf einer Rennbahn, die dem falschen Hasen hinterher liefen. Nur dass der falsche Hase in diesem Fall einen bestimmten Namen hatte: Baby.
    Irgendetwas war mit dem Baby passiert.
    Das Baby, oh Gott, bitte nicht, nein, nein, nein.
    Sobald dieser Gedanke die Bühne seines Verstandes verlassen hatte, folgte ihm die Furcht um Linda und gab eine wahre Galavorstellung in Sachen Besorgnis: War Linda etwas passiert? Hatten die Wehen zu früh eingesetzt? War sie gestürzt, weil ihr schwarz vor Augen geworden war? Doch auch der Gedankengang glich nur einer Karawane, die flimmernd am Horizont seines Bewusstseins vorbeizog. Und sobald die Gedanken an Linda in Rogers Kopf verklungen waren, wie das Echo eines Schreies auf einer Waldlichtung, dachte Roger an seinen Sohn Sam. War er hingefallen? Hatte er sich geschnitten oder sich wohlmöglich den Fuß gebrochen? Hatte er die Flaschen unter der Spüle in die Finger bekommen, in denen der Abflussreiniger abgefüllt gewesen war? Oh mein Gott, wir hätten die Reste des Abflussreinigers nicht in die alten Eistee-Flaschen umfüllen sollen, dachte er, während der Wagen in die letzte Biegung brauste, nach welcher der Weg in die breite Einfahrt des Hauses mündete.
    Die roten und blauen Lichter tauchten die ganze Welt in ein durcheinander aus Schlieren und als er auf die Bremse trat und die Augen dabei schloss, dachte er plötzlich an den einen und letztlich einzigen LSD-Trip, den er auf dem College gehabt hatte. Die Welt zerfloss hinter seinen Augenlidern für Sekundenbruchteile in ein Durcheinander aus Farben und das Gemurmel der vielen verschiedenen Stimmen vereinigte sich in seinem Kopf wie zu einem babylonischen Kauderwelsch, aus dem er nur einige wenige Wortfetzen entziffern konnte. Seine Augen füllten sich gleichzeitig mit Tränen und brannten und die Gewissheit, dass etwas Schlimmes passiert war, nahm ihm den Atem, wie ein kräftiger Schlag in den Bauch. Er verweilte einige Augenblicke reglos hinter dem Steuer, ehe er wieder seine Augen öffnete. Die Lichter wechselten ein letztes Mal von rot auf blau und dann wieder auf rot.
    Und als er seine Augen wieder öffnete, kam ein Officer knirschenden Schrittes durch die Einfahrt auf ihn zu gerannt.
    „ Sir, wohnen Sie hier? Sind sie Roger Bonfield, Sir?“, schrie der Mann und hielt sich mit der rechten Hand die Polizeimütze, damit sie aufgrund seinen schnellen Ganges nicht hinuntergeweht
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